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Aspekte der menschlichen Sozialnatur

Aspekte der menschlichen Sozialnatur

Dr. Johannes Schmid, 8. Februar 2013

Die menschliche Sozialnatur konstituiert sich aus folgenden Grundelementen:

  • Die natürliche Soziabilität
  • Die natürliche Lern- und Erziehungsfähigkeit / -bedürftigkeit
  • Die natürliche Beziehungsfähigkeit / -bedürftigkeit

 1. Die natürliche Soziabilität

Bereits im 19. Jahrhundert betrachtete Charles DARWIN die Soziabilität als das bedeutendste Gattungsmerkmal des Menschen:

"Die geringe körperliche Kraft des Menschen, seine geringe Schnelligkeit, der Mangel natürlicher Waffen usw. werden mehr als ausgeglichen erstens durch seine intellektuellen Kräfte.... und zweitens durch seine sozialen Eigenschaften, welche ihn dazu führen, seinen Mitmenschen Hülfe angedeihen zu lassen und solche wiederum von ihnen zu empfangen".

(1986, S. 70)

Aus den Ausführungen DARWIN's wird deutlich, dass er keineswegs wie es Vertreter des Sozialdarwinismus (vgl. CLARK 1990) gerne interpretieren, den "Kampf aller gegen alle" in der Evolution als entscheidenden Entwicklungsfaktor betrachtete, sondern im Gegenteil der Soziabilität und Kooperation entscheidende Bedeutung beimass. DARWIN betonte, dass es sich beim "Kampf ums Dasein" nicht um ein brutales Kräftemessen handelt, sondern um einen Sammelbegriff, eine bildhafte Übertragung für viele verschiedene Dinge, die mit "Kampf" im eigentlichen Sinne wenig oder gar nichts zu tun haben.

(1963, S. 84)

Ohne über die Erkenntnisse der modernen Entwicklungspsychologie zu verfügen, ahnte DARWIN bereits die Bedeutung der ausgedehnten Kindheitsperiode und der damit verbundenen langen Abhängigkeit von den Beziehungspersonen für die Entwicklung der sozialen Gefühle, als er betonte, dass "die elterliche und kindliche Zuneigung ... die augenscheinliche Basis der sozialen Instinkte"  bildet.

(1966, S. 132)

Typische menschliche Eigenschaften wie moralische Fähigkeiten (DARWIN 1986, S.116), Sympathie, Mitgefühl und Gewissen haben nach DARWIN (1966, S. 141 ff.) ihren Ursprung in der primären sozialen Disposition des Menschen. Der "soziale Instinkt", d.h. die soziale Ausrichtung, ist für ihn eine zentrale Motivation menschlichen Verhaltens und die Grundlage für das Zusammenleben der Menschen in Gesellschaft und Kultur.

Seine Annahmen über die starke soziale Ausrichtung des Menschen wurden durch neuere anthropologische Forschungen bestätigt. LEAKEY & LEWIN (1977) konnten nachweisen, dass schon die frühen Hominiden in sozialen Verbänden lebten und die soziale Gruppe brauchten, um die Kenntnisse zum Überleben vermitteln und erlernen zu können.

Um die Existenz der Gruppe langfristig zu sichern, musste Sozialverhalten untereinander geübt und gelernt werden. Nach MONTAGU (1978) etablierten sich kooperative Verhaltensmuster und gegenseitige Hilfe bereits in der frühesten Menschheitsgeschichte und wurden zu den Hauptfaktoren menschlicher Entwicklung (vgl. LEWONTIN 1982).

Die von DARWIN beschriebene und mittlerweile durch anthropologische Studien belegte biologisch tiefverwurzelte soziale Orientierungsfähigkeit des Menschen hat sich im Laufe der Evolution als eindeutiger Selektionsvorteil herausgestellt. Die Notwendigkeit der Gruppenorientierung, der Kooperation, der gegenseitigen Rücksichtnahme und Vertrauenswürdigkeit als Bestandteile eines "evolutionsbedingten Gemeinschaftsgefühl [s] und -verhalten [s]" (LEAKEY & LEWIN 1977, S.223) bilden die Grundlage eines wissenschaftlichen Verständnisses menschlichen Handelns. Auch aus diesem Grunde gehören Annahmen über einen biologisch bedingten Aggressionstrieb in den Bereich der Spekulation und der Ideologie (vgl. MONTAGU 1974; BANDURA 1979; MUMMENDY 1984).

2. Die biologische Begründung von Lernen und Erziehung

Bestandteil der menschlichen Sozialnatur ist die natürliche Lern- und Erziehungsbedürftigkeit sowie die natürliche Lern- und Erziehungsfähigkeit des Menschen. Im folgenden wird anhand biologischer und anthropologischer Forschungsergebnisse die Notwendigkeit des Lernens und der Erziehung für die menschliche Lebensgestaltung begründet. Aufgrund der gegenseitigen Bedingtheit von biologisch fundierten Lern- und Erziehungszusammenhängen wird auf eine getrennte Betrachtung der beiden Untersuchungsgegenstände verzichtet.

Im Laufe der Stammesgeschichte entwickelte die Menschheit die Fähigkeit, sich durch "Lernen" ihrer Umwelt anzupassen. So konnten sich diejenigen Hominidenarten gegenüber anderen durchsetzen, die durch genetische Mutation solche Merkmale ausbildeten, welche Ihnen ein effektiveres Lernverhalten und eine bessere Ausgestaltung der sozialen Erfahrungsgewinnung ermöglichten. Mit diesem stammesgeschichtlichen Prozess war, bedingt auch durch die verlängerte Kindheit und Jugendzeit, die Herausbildung einer stetig wachsenden Erziehbarkeit verbunden. Nach dem Anthropologen Ashley MONTAGU (1984, S.112) hat

"die natürliche Selektion ... immer und überall solche genetischen Prozesse begünstigt, die eine fortschreitende grössere Edukabilität und Veränderbarkeit der mentalen Merkmale unter dem Einfluss der so ausschliesslich sozialen Umwelten gestatteten, denen die Menschen ständig ausgesetzt waren und sind".

Diese evolutionäre Entwicklung hin zum "sozialen Lernen" ermöglichte dem Menschen eine schnellere Vermittlung von überlebensnotwendigen Verhaltensweisen und somit eine bessere Anpassung an die Umwelt. MONTAGU stellte fest, dass "das Bemerkenswerte am menschlichen Verhalten ist, dass es gelernt wird. Was ein Mensch auch tut, er muss es von anderen Menschen lernen" (1974, S.15).

LEAKEY & LEWIN beschreiben den Menschen als "ein Lebewesen mit einer Lernfähigkeit par excellence" (1977, S. 213), da sich für sie die Entwicklung der vielfältigen Kulturen auf der Erde nur durch das menschliche Lernpotential erklären lassen. PLESSNER (1964) spricht von einer nur dem Menschen zur Verfügung stehenden äusserst variablen und nuancenreichen "Erwerbsmotorik", die ihn von der tierischen "Erbmotorik" unterscheidet.

Diese "Erwerbsmotorik" befreit den Homo sapiens sapiens allerdings nicht davon, das eigentliche Lernen, beginnend auf einer fast ausschliesslich gefühlsmässigen Ebene in der frühen Kindheit (vgl. GROSSMANN 1977), ein Leben lang lernen zu müssen.

Die grundlegenden biologischen Voraussetzungen für die Notwendigkeit des Lernens und damit natürlich auch der Erziehung liegen in der Sonderstellung des Menschen, in der er sich von anderen Lebewesen unterscheidet. Diese Unterschiede sind, basierend auf einem Verständnis des Menschen als Produkt der Evolution, selbstverständlich nicht prinzipieller, sondern nur gradueller Art und sollen im folgenden dargestellt werden:

Der Basler Anthropologe und Zoologe Adolf PORTMANN (1969) gelangte aufgrund vergleichender Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass sich der Geburtszustand des Menschen tiefgreifend von dem aller anderen vergleichbaren Säugetiere unterscheidet. Während "Nesthocker" (niedere Säugetiere) nach kurzer Tragzeit, völlig hilflos, mit noch nicht funktionierenden Sinnesorganen und fortbewegungsunfähig zur Welt kommen, können sich "Nestflüchter" (höhere Säugetiere) bei Geburt direkt artspezifisch verhalten, da sie, aufgrund der längeren Entwicklungszeit im Mutterleib, bereits über leistungsfähige Sinnesorgane sowie ein funktionierendes Bewegungssystem verfügen.

Im Vergleich zu den übrigen höheren Säugern kommt der Mensch 12 Monate zu früh zur Welt, da er das Stadium der artgemässen Bewegungs- und Kommunikationsfähigkeit erst nach einem Jahr erreicht. Er befindet sich, biologisch betrachtet, noch in einem unfertigen, relativ unspezialisierten, durch natürliche Reifungsprozesse nicht ausdifferenzierten Zustand (vgl. WEBER 1978). PORTMANN bezeichnet diesen Zustand als "normalisierte Frühgeburt" und charakterisiert den Menschen als "sekundären Nesthocker" oder "hilflosen Nestflüchter", dessen Sinnesorgane bereits funktionieren, der jedoch typisch menschliches Verhalten wie Sprache, aufrechten Gang und einsichtiges Handeln noch nicht beherrscht.

Durch den hilflosen Geburtszustand befindet sich der Säugling in "eine[r] intensive[n] Abhängigkeit von der Mutter und der Gruppe" (PORTMANN 1965, S. 10) und beginnt, die oben genannten Fähigkeiten erst nach der Geburt, in der Regel innerhalb des ersten Lebensjahres, zu erlernen. Aufgrund der "normalisierten Frühgeburt" werden so entscheidende Phasen der menschlichen Entwicklung aus dem mütterlichen Uterus in den "sozialen Uterus" (PORTMANN 1965, S. 267) verlegt. Dabei handelt es sich nicht um prägungsähnliche Lernprozesse, sondern das Menschenkind steht nach SPITZ (1983) im aktiven Austausch mit seinen Beziehungspersonen und durch sie mit der menschlichen Kultur- und Sozialwelt.

Die "normalisierte Frühgeburt" macht den Menschen zu einem Lernwesen, das auf andere Mitmenschen angewiesen ist und bedingt seine soziale Lebensweise. Durch soziale Fürsorge, beidseitig aktive Beziehungsaufnahme und durch erzieherisch unterstütztes Lernen wird die Gefährdung, welcher der neugeborene Mensch ohne soziale Lebensweise ausgesetzt wäre, ausgeglichen sowie die Grundlage für ein artgemässes Hineinwachsen in die menschliche Umwelt gelegt. Die unbegrenzte elterliche Fürsorge stellt hierbei nach ROTH (1966) nicht nur eine Entwicklungshilfe dar, sondern ist conditio sine qua non für jede weitere Entwicklung eines Heranwachsenden.

Während das Verhalten der Tiere weitgehend durch gattungsspezifische, genetische Steuerungsmechanismen festgelegt ist (LORENZ 1971), welche die Lebensweise regeln und ein Überleben garantieren, sind beim Menschen nur wenige Instinktreste (z.B. der Saugreflex; Handgreifreflex) nachweisbar. Deshalb muss der Mensch von Geburt an, aufbauend auf seiner sozialen Ausgerichtetheit, alles erlernen. Die Auflockerung der Instinktzusammenhänge ist somit eine Voraussetzung der ausgeprägten menschlichen Lernfähigkeit.

Der Mangel an spezifischen, schematisch festgelegten Verhaltensabläufen trägt gleichzeitig auch zur Weltoffenheit und Entscheidungsfreiheit des Menschen bei. Er kann sein Verhalten variabel den jeweiligen Umweltveränderungen anpassen und je nach Anforderung "umlernen", d.h. solche Verhaltensweisen entwickeln, die neuen Anforderungen gerecht werden.

Der Mensch lebt demnach nicht wie das Tier "umweltgebunden", in einem artspezifischen Ausschnitt der Welt (vgl. UEXKÜLL 1956), sondern "weltoffen", d.h. er ist nicht organisch und instinktiv an eine spezifische Umwelt gebunden. Während die Umwelt der Tiere nahezu konstant bleibt, lebt der Mensch in einer veränderbaren, historisch  –kulturellen Welt und ist auf die Gestaltung von Kommunikation und Sozietät angewiesen.

Um in die Lage zu kommen, die mit dieser Lebensform verbundenen Lernaufgaben zu lösen und ein freies, mündiges Handeln zu entwickeln, ist er auf eine genaue erzieherische Anleitung angewiesen.

Zum Erlernen der jeweiligen soziokulturellen Lebensform benötigt der Mensch eine lange Kindheit und Jugendzeit. Die Entwicklungsdauer einer Spezies allgemein ist dabei umso länger, je weniger sie instinktspezialisiert ist. Dieser Tatbestand, verbunden mit der Angewiesenheit auf elterliche Fürsorge, konnte auch bei anderen Primaten nachgewiesen werden (vgl. GOODALL 1971), hat aber bei der menschlichen Spezies eine einmalige Steigerung erfahren.

Ausgehend von der sich schon in den ersten Lebensjahren ausformenden Sprachorganisation, Denkfähigkeit und Bewegungskoordination sowie der Grundlegung sozialer Verhaltensweisen, erfolgt nach PORTMANN in der "Kindheit" und "Jugend" der Aufbau der eigenen individuellen Persönlichkeit sowie die Aufnahme des Traditionsgutes der Sozialgruppe. Die lange Kindheit ist für ihn "nicht zufälliger Glücksfall, der das gemächliche Erwerben von Sprache und Kultur ermöglicht; sie ist von vorneherein zugemessene Lebensperiode eines Wesens, dessen Lebensform Kultur als Wesenszug einbegreift" (1973, S.63). Die ausgedehnte Entwicklungszeit des Menschen ist eine anthropologisch fundamentale, existentielle Grunddisposition der menschlichen Lebensweise.

Aus dieser Bedingung entwickeln sich im Sozialkontakt, d.h. durch die eigene Aktivität des Kindes und durch die erzieherische Anleitung, die eigentlichen menschlichen Eigenschaften. In diesem Prozess bilden die biologischen Grunddispositionen, die soziale Umwelt und deren geschichtliches Traditionsgut eine komplexe Einheit.

Der Homo sapiens sapiens bedarf damit notwendigerweise Erziehende und Lehrende, die ihm Wissen und Fertigkeiten, aber auch Verhaltensweisen und Werthaltungen vermitteln.

Der Mensch ist vollkommen auf Erziehung, im weiteren Sinne auf Sozialisation, angewiesen. Er ist nicht nur ein homo sociologicus, ein animal sociale, sondern im viel stärkeren Masse ein homo paedagogicus, ein animal educandum. Wo Lernen und Erziehung ausbleiben, unzureichend sind oder misslingen, kommt es nach WEBER (1978, S. 20) "zur Gefährdung bzw. zur Verhinderung der Menschwerdung des Menschen". Formen abweichenden Verhaltens, wie Vandalismus, Verwahrlosung und Kriminalität (vgl. KLOCKHAUS & TRAPP-MICHEL 1988; vgl. SCHNEIDER 1991) lassen sich als typischen Ausdruck eines unzulänglichen Erziehungs- und Lernprozesses verstehen.

3. Die Bedeutung der Beziehung

Dem Faktor "Beziehung" wird, trotz zahlreicher vorliegender Forschungsergebnisse, welche dessen Bedeutung für die menschliche Entwicklung unterstreichen, viel zu wenig Rechnung getragen. Beziehung beinhaltet die emotionelle Grundlage für einen erfolgreichen Lern- und Entwicklungsprozess und ist für diesen notwendige Voraussetzung.

Forschungsergebnisse aus der Anthropologie, Biologie und der modernen Entwicklungspsychologie weisen nach, dass der Mensch von Natur aus ein Beziehungswesen ist. Er bringt einerseits schon enorme "beziehungsstiftende Fähigkeiten" (STERN 1979, S. 45) mit auf die Welt, um mit seiner sozialen Umwelt Kontakt aufzunehmen, andererseits ist er auf eine bestimmte "Qualität" von Beziehung angewiesen, welche sich in der Fähigkeit der Bezugspersonen äussert, feinfühlig auf die Signale des Kindes einzugehen und diese adäquat zu beantworten (AINSWORTH 1973, 1978). Nur so kann der Mensch soziale Kompetenzen entwickeln (vgl. WATERS 1982), die eine unabhängige, aber gleichzeitig mit den Artgenossen und der natürlichen Umwelt verbundene Persönlichkeit kennzeichnen.

Beziehungsfähigkeit als anthropologische Grunddisposition ist bereits in der neuropsychischen Grundausstattung des Menschen verankert (BOWER 1979), kann sich jedoch nur in einem adäquaten Zusammenspiel zwischen Kind und Bezugspersonen voll entwickeln. Neben den schon im letzten Kapitel beschriebenen entwicklungsbiologischen Besonderheiten des Menschen entwickelte sich im Laufe der Stammesgeschichte eine natürliche Disposition zur Beziehungsfähigkeit, d.h. eine aktive Ausrichtung auf den Artgenossen.

Da der Mensch aufgrund seiner natürlich bedingten Abhängigkeit vom Sozialverband auf den Aufbau von Beziehungsstrukturen angewiesen ist, wurde Bindungsverhalten, d.h. die Suche nach der Nähe eines vertrauten Artgenossen, zu einem notwendigen Überlebensvorteil.

Bindungsverhalten gehört somit zur Grundausstattung des Menschen und entwickelt sich im Laufe der ersten Lebensjahre von einfachen Verhaltensmustern zu immer komplexeren Verhaltenssystemen.

Ziel dieses Verhaltens ist es, die Beziehung zur Pflegeperson zu sichern. Erfährt das Kind ein adäquates Eingehen, kann sich eine emotional verlässliche Beziehung, eine sichere "Bindung" aufbauen. "Bindung" kann dabei als die besondere Beziehung eines Kleinkindes zu seinen Eltern oder ständigen Bezugspersonen bezeichnet werden und stellt eine "wesentliche Voraussetzung für die psychische Gesundheit dar" (BOWLBY 1975, S. 9).

Nach BOWLBY (1982 S.157) ist die "Neigung menschlicher Wesen, starke gefühlsmässige Bindungen zu entwickeln" eine stabile biologische Grösse, die im Laufe der Ontogenese, durch Umwelteinflüsse beeinflusst, in Form verschiedener Bindungsqualitäten variieren kann und während des ganzen Lebens erhalten bleibt. Hierbei handelt es sich nicht um ein Aufrechterhalten von Abhängigkeit, sondern um die Realisierung eines menschlichen Grundbedürfnisses, auf dessen Grundlage der Aufbau sozialer und sachlicher Kompetenz sowie die Entwicklung von Selbstbewusstsein, Verantwortlichkeit und sozial verbundener Eigenständigkeit erst möglich wird.

Bindungsverhalten ist nach BOWLBY (1976) eine eigenständige Fähigkeit und kein Sekundärphänomen, welches erst aufgrund der Befriedigung eines primären Bedürfnisses wie z.B. nach Nahrung entsteht. Schon HARLOW (1962) konnte in seinen Rhesusaffenexperimenten nachweisen, dass die Mutter-Kind-Bindung ein eigenes Verhaltenssystem beinhaltet, welches sich unabhängig von der Funktion der Mutter als Nahrungsspenderin entwickelt und als primäre Quelle emotioneller Sicherheit bedeutenden Einfluss auf die weitere Entwicklung des Affenjungtieres hat (vgl. ALCOCK 1984).

Die oben genannte Ausrichtung auf den Artgenossen zeigt sich im Kontaktbedürfnis des Neugeborenen (HASSENSTEIN 1973) und in seinen aktiven Versuchen mit seinen direkten Bezugspersonen Kontakt aufzunehmen, um durch seine Tätigkeiten auf sich und seine Bedürfnisse aufmerksam zu machen. Nach STERN (1979, S. 45) ist das Kleinkind aufgrund seiner beziehungsstiftenden Fähigkeiten "sofort ... als Partner an der Formung seiner ersten und bedeutendsten Beziehungen beteiligt". Zu den wichtigsten angeborenen Signalen, die es dem Kleinkind schon in den ersten Monaten ermöglichen, zwischenmenschliche Beziehungen herzustellen und in soziale Austauschprozesse einzutreten, zählen nach STERN (1979] das Blickverhalten, bestimmte Kopfbewegungen, mimische Veränderungen, aber auch Fähigkeiten wie z.B. Anklammern und Anschmiegen (GROSSMANN 1983). Diese Verhaltensweisen, ob simultan oder einzeln verwendet, müssen nicht erlernt werden, sondern sind von Geburt an organisiert. Sie unterliegen allerdings vom Beginn ihres Auftretens dem formenden Prozess des Lernens.

Wie zahlreiche Forschungsergebnisse bestätigen konnten, ist der Mensch von Natur aus ein beziehungsfähiges- und beziehungsbedürftiges Wesen. Grundlegende Bedingung für den Erwerb von emotionalen und kognitiven Fähigkeiten ist dabei eine emotional sichere und tragfähige Bindung zwischen Kind und erster Bezugsperson. Ohne diese Bindung verkümmert der Mensch in organischer wie auch emotionaler Sicht (vgl. SCHMALOHR 1980; RUTTER 1972) und kann sich nicht zu einer selbstbewussten, unabhängigen, mitfühlenden und verantwortlich handelnden Persönlichkeit entwickeln.

Literatur

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  • SCHNEIDER, H.J. (1991): Gewalt in der Schule in: Kriminalisitik 45 Heft 1, S. 15-24
  • SPITZ, R. (1983): Vom Säugling zum Kleinkind. Naturgeschichte der Mutter-Kind- Beziehung im ersten Lebensjahr.   – Stuttgart (7. Auflage), Klett-Cotta
  • STERN, D. (1979): Mutter und Kind. Die erste Beziehung.   – Stuttgart, Klett-Cotta
  • UEXKÜLL, J. v. (1956): Streifzüge durch Umwelten von Tieren und Menschen.   – Hamburg, Rowohlt
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  • WEBER, E. (1978): Pädagogik. Eine Einführung: Bd. 1: Grundfragen und Grundbegriffe.   – Donauwörth (7. Auflage), Auer
  • WEBER, E. (1986): Erziehungsstile.   – Donauwörth (8. Auflage), Auer

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