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Nicolaus Copernicus
1473-1543
Nicolaus Copernicus
Galileo Galilei
1564 -1642
Leonardo da Vinci
1452-1519
Leonardo da Vinci
  • Er überwindet die traditionelle Nachahmung des Altertums und macht durch das Studium der Natur grundlegende technische und medizinische Erkenntnisse. Leonardo da Vinci war vieles: ein Maler, ein Mediziner, ein Architekt, ein Ingenieur, ein Theaterproduzent, unehelich und im Italien der Renaissance überaus beliebt.

    Ein Gemälde von Leonardo da Vinci wurde 2017 bei Christie’s für 450,3 Millionen Dollar verkauft – bei Weitem der höchste Preis für ein Kunstwerk, das je bei einer Auktion versteigert wurde. Der Betrag illustriert den sagenhaften Platz, den der große italienische Künstler in unserer Vorstellung einnimmt.

    Heutzutage wird der Begriff „Genie“ genutzt, um Popstars, Stand-Up-Comedians und sogar Fußballspieler zu beschreiben. Doch Leonardo da Vinci hat diese Beschreibung wirklich verdient, erklärt Walter Isaacson in seiner aufwendig illustrierten Biografie. Von weltberühmten Gemälden – die „Mona Lisa“ und „Das letzte Abendmahl“ – über Entwürfe für Flugapparate bis hin zu bahnbrechenden Studien über Optik und Perspektive hat Leonardo Wissenschaft und Kunst zu Werken verschmolzen, die Teil der Menschheitsgeschichte geworden sind.

    Im Interview mit National Geographic erklärte er, warum Mona Lisas Lächeln der Höhepunkt lebenslanger Untersuchungen ist, warum Michelangelo und Leonardo einander nicht ausstehen konnten und warum seine Neugierde Leonardos wichtigster Charakterzug war.

    Wir müssen mit dem berühmtesten Lächeln der Welt beginnen. Wie passt die „Mona Lisa“ in Leonardos Leben und Werk – und wie hat sie es geschafft, uns 500 Jahre lang zu verzaubern?

    Das Lächeln der Mona Lisa ist der Höhepunkt seines Lebens, das er darauf verwendet hat, Kunst, Wissenschaft, Optik und jedes andere mögliche Gebiet zu studieren, das seiner Neugier standhielt. Dazu zählte auch, dass er das Universum und unseren Platz darin begreifen wollte.

    Leonardo widmete viele Seiten seines Notizbuchs der Erforschung des menschlichen Gesichts. Er wollte jeden Muskel und Nerv ausmachen, der die Lippen berührte. Auf einer dieser Seiten sieht man ganz oben eine schwache Skizze – die Anfänge des Lächelns der Mona Lisa. Leonardo behielt dieses Gemälde von 1503, als er es anfing, bis zu seinem Tod im Jahr 1519 und versuchte, jeden Aspekt Schicht für Schicht perfekt darzustellen. In dieser Zeit sezierte er das menschliche Auge an Leichen und verstand sogar, dass das Zentrum der Netzhaut Details sieht, aber die Ränder Schatten und Formen besser sehen. Wenn man direkt auf das Lächeln der Mona Lisa schaut, sinken die Mundwinkel leicht nach unten, aber die Schatten und das Licht lassen es so erscheinen, als würden sie sich nach oben wenden. Wenn man den Blick über ihr Gesicht schweifen lässt, flackert das Lächeln immer wieder kurz auf und verschwindet.

    Er trug sein Notizbuch bei sich, wenn er durch Florenz oder Mailand ging. Immer wieder zeichnete er die Gesichtsausdrücke und Gefühle der Menschen und versuchte, diese mit ihren inneren Emotionen in Beziehung zu setzen. Das sieht man am deutlichsten im „Letzten Abendmahl“.

    Aber die „Mona Lisa“ ist der Höhepunkt, weil ihre Emotionen ebenso wie ihr Lächeln nur schwer zu erfassen sind. Jedes Mal, wenn man sie ansieht, wirkt sie etwas anders. Im Gegensatz zu anderen Porträts dieser Zeit ist das nicht nur eine flache, oberflächliche Darstellung. Sie versucht, die inneren Emotionen abzubilden.

    Sein anderes berühmtestes Meisterwerk ist „Das letzte Abendmahl“, das Sie „das fesselndste erzählerische Gemälde der Geschichte“ nennen. Nehmen Sie uns in seine Schöpfung mit und erklären Sie uns, warum es ein so überragendes Kunstwerk ist.

    Der Herzog von Mailand bat ihn, es an die Wand eines Speisesaals eines Klosters zu malen. Im Gegensatz zu anderen Darstellungen des Letzten Abendmahls, von denen es damals Hunderte gab, hält Leonardo nicht einfach nur einen Moment fest. Er versteht, dass es so etwas wie einen zusammenhanglosen Moment nicht gibt. Er schreibt, dass in jedem Augenblick das verkörpert wird, was vor und nach ihm geschehen ist, weil er in Bewegung ist.

    Er macht „Das letzte Abendmahl“ also zu einer dramatischen Erzählung. Wenn man zur Tür hereinkommt, sieht man die Hand Christi. Wandert der Blick seinen Arm hinauf, sieht man in sein Gesicht. Er sagt: „Einer von euch wird mich verraten.“ Wenn man den Blick dann über das Bild schweifen lässt, kann man die Geräusche fast sehen, die von jeder Gruppe der Apostel ausgehen, als sie darauf reagieren.

    Die, die ihm am nächsten sitzen, fragen bereits: „Bin ich es, Herr?“ Diejenigen, die weiter weg sind, haben es gerade erst gehört. Während das Drama von der Mitte zu den Rändern plätschert, scheint es zurückzuschwappen, als Christus nach Brot und Wein greift. Das wird der Beginn der Eucharistie.

    Trotz dieser Errungenschaften war Leonardo zu seiner Zeit nicht in erster Linie als Maler bekannt, sondern als Architekt – und sogar als das, was wir heute einen Special-Effects-Manager nennen würden.

    Er war vor allem – auch wenn er sich manchmal anderes wünschte –ein Maler. Er sah sich selbst gerne als Ingenieur und Architekt, was er auch mit großer Leidenschaft tat. Aber seine erste Anstellung war als Theaterproduzent.

    Dabei lernte er viele perspektivische Tricks, denn die Bühne in einem Theater wirkt tiefer, als sie ist. Ein Tisch auf der Bühne wird beispielsweise leicht gekippt, damit man ihn sehen kann – das sehen wir auch im „Letzten Abendmahl“. Ebenso sind auf der Bühne die theatralischen Gesten der Figuren übertrieben, was auch beim Abendmahl der Fall ist.

    Leonardo da Vinci Körperskizze
    Leonardo da Vincis Notizbücher sind voller Skizzen von Erfindungen, darunter auch Körperskizzen

    Seine theatralische Inszenierung brachten ihn zum Bau mechanischer Requisiten. Das waren beispielsweise Flugapparate und eine Luftschraube, die in einigen Aufführungen Engel von den Dachsparren herunterbringen sollte. Leonardo verwischte dann die Grenze zwischen Fantasie und Realität, als er versuchte, echte Flugmaschinen zu entwerfen, die technische Wunderwerke waren! Was er also im Theater aufschnappte, brachte er sowohl in seine Kunst als auch in seine Technik mit ein.

    Wie war Leonardo als Mensch? Er war Vegetarier und offen schwul – in einer Zeit, in der „Sodomie“ ein Verbrechen war. Und er war ein ziemlicher Dandy.

    Er war schwul, unehelich, Linkshänder und ein kleiner Ketzer. Aber das Gute an Florenz war, dass es in den 1470er Jahren eine sehr tolerante Stadt war. Leonardo lief in der Stadt herum und trug dabei kurze lila und rosa Kostüme, die für die Florentiner etwas gewöhnungsbedürftig waren. Aber er war sehr beliebt. Er hatte eine enorme Anzahl von Freunden sowohl in Florenz als auch in Mailand. Er schrieb über Abendessen mit engen Freunden, eine vielfältige Gruppe: Mathematiker, Architekten, Dramatiker, Ingenieure und Dichter. Diese Vielfalt hat ihn geprägt.

    Außerdem war er ein sehr gut aussehender Typ. Der „Vitruvianische Mensch“, der nackt in Kreis und Quadrat steht, ist größtenteils ein Selbstporträt von Leonardo mit seinen wallenden Locken und seinem wohlproportionierten Körper.

    Quelle: https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2020/11/universalmensch-was-machte-leonardo-da-vinci-zum-genie


Giordano Bruno
1548 - 1600
  • Im 16. Jahrhundert nahm der Entwicklungsgedanke bei Giordano Bruno Gestalt an. Für ihn war der Kosmos ein unbegrenzter Organismus.

    Bruno schreibt darüber:
    "Die Materie ist nicht formlos, sie enthält vielmehr alle Formen im Keime, und indem sie entfaltet, was sie eingehüllt in sich trägt, ist sie in Wahrheit alle Natur und die Mutter alles Lebendigen."

    Der Kirche erschienen Brunos Gedanken als zu gefährlich. In 20 Punkten wurde er der Ketzerei für schuldig befunden. Als er sich weigerte zu widerrufen, wurde er am 17. Februar 1600 auf dem Campo dei fiori in Rom öffentlich als Ketzer verbrannt. Sämtliche Schriften Brunos kamen 1603 auf den Index der verbotenen Bücher und blieben dort bis zu dessen Aufhebung im Jahre 1965.

    Bertolt Brecht:
    "Giordano Bruno, der Mann aus Nola, den die römischen Inquisitionsbehörden im Jahre 1600 auf dem Scheiterhaufen wegen Ketzerei verbrennen ließen, gilt allgemein als ein großer Mann, nicht nur wegen seiner kühnen und seitdem als wahr erwiesenen Hypothesen über die Bewegungen der Gestirne, sondern auch wegen seiner mutigen Haltung gegenüber der Inquisition, der er sagte: „Ihr verkündet das Urteil gegen mich mit vielleicht größerer Furcht, als ich es entgegennehme.“ Wenn man seine Schriften liest und dazu noch einen Blick in die Berichte von seinem öffentlichen Auftreten wirft, so fehlt einem nichts dazu, ihn einen großen Mann zu nennen."


Isaac Newton
1643 - 1727
Isaac Newton
  • Isaac Newton ist einer der bedeutendsten Wissenschaftler aller Zeiten. Er schrieb unter anderem die Lehre der Schwerkraft (Gravitationslehre) und wies die Zusammensetzung von Licht nach. Am 4. Januar 1643, nur wenige Tage nach dem Tod von Galileo Galilei, wurde Isaac Newton im englischen Woolsthorpe geboren.

    Bis er zehn Jahre alt war, wuchs er bei seiner Großmutter in Woolsthorpe auf. Erst nach dem Tod seines Stiefvaters nahm ihn die Mutter wieder auf. Newton entwickelte sich trotz der schwierigen Familienverhältnisse gut.

    Entgegen der Pläne seiner Familie, das landwirtschaftliche Gut in Woolsthorpe zu übernehmen, schrieb sich der Junge im Jahr 1661 am Trinity College in Cambridge ein, um zu studieren. Seinen Abschluss erreichte er mit Bestnoten.

    Doch statt weiter zu studieren, musste er zurück in sein Elternhaus ziehen. Wegen der Pest, die in den Jahren 1665 und 1666 im Süden Englands wütete, wurden alle Universitäten geschlossen. Also widmete sich der wissbegierige Newton selbstständig seinen Forschungen.

    Er arbeitete vor allem an den Problemen der Optik, der Algebra und der Mechanik. Später hat er einmal gesagt, dass diese zwei Jahre der Höhepunkt seiner Erkenntnisse gewesen seien.

    Wie Isaac Newton die Welt veränderte

    Nach der Pest wurde Newton Mitglied des Trinity College und 1669 Lehrer für Mathematik. Später lehrte er auch Optik, wo er sich besonders mit der Lichtbrechung beschäftigte. Er baute auf Grundlage seiner Erkenntnisse 1672 ein Spiegelteleskop und veröffentlichte zeitgleich erste Schriften.

    Doch Isaac Newton war sehr emotional. Streitereien oder Kritik an seiner Arbeit gingen ihm sehr nahe. Deshalb zog er sich Schritt für Schritt aus der öffentlichen Wissenschaft zurück und forschte meist nur noch allein. Ein Streit trieb Newton 1678 sogar zum Nervenzusammenbruch. Als wenig später auch noch seine Mutter starb, grenzte sich Newton vorerst ganz von der Öffentlichkeit ab.

    Erst 1684 kehrte er langsam zum Alltag zurück und legte den Grundstein für seine größten Entdeckungen: In seiner Schrift "Philosophiae Naturalis Principa Mathematica" (Mathematische Prinzipien der Naturlehre) von 1687 vereinte er die Forschungen von Galileo Galilei zur Beschleunigung mit denen von Johannes Kepler zu den Planetenbewegungen und jenen von Descartes zum Trägheitsproblem.

    Weltveränderer Galileo Galilei

    1564 wurde ein Mann geboren, dessen Erkenntnisse die ganze Welt veränderten. Galileo Galilei erklärte uns mit dem sogenannten heliozentrischen Weltbild, wie das Planetensystem funktioniert. Lest hier, wie er die Welt bewegte

    Isaac Newtons Gravitationslehre

    Isaac Newton erfand mit der "Philosophiae Naturalis Principa Mathematica" die Theorie der Schwerkraft, auch Gravitationslehre genannt. Mit dem Gravitationsgesetz beweist er, dass sich Körper gegenseitig anziehen und mit ihrer Schwerkraft aufeinander einwirken. Dieses Wissen ist sowohl astronomisch (bezogen auf Sterne und Planeten) als auch im Alltag von großer Bedeutung. Newton erklärte demnach physikalisch, weshalb ein Apfel überhaupt zu Boden fällt. Nun war der Wissenschaftler international berühmt.

    1696 wurde er zum Wardein (im Mittelalter ein Wächter oder Hüter) der englischen Münzprägeanstalt Royal Mint erklärt und zog nach London. 1701 gab er letztlich seine Professur in Cambridge ab und engagierte sich stark politisch. Dafür wurde er Jahre später zum Ritter geschlagen.

    Immer zeitgleich studierte der Wissenschaftler neue Fächer und Schwerpunkte. Denn in Hinsicht auf Wissen war Newton nimmersatt. Einen Großteil der Mathematik-, Physik- und Astronomielehre brachte er sich selbst bei.

    Seine Erkenntnisse in den Naturwissenschaften machten ihn zu einem angesehenen Mann - Newton war berühmt und wohlhabend. Am 20. März 1726 starb er an den Folgen schwerer Blasensteine. Noch nachdem Tod Isaac Newtons wurden viele weitere Werke des Physikers veröffentlicht.

    Quelle: https://www.geo.de/geolino/mensch/isaac-newton-steckbrief-biografie-physik von Wiebke Plasse


Denis Diderot
1713 - 1784
Denis Diderot
  • Er demokratisiert das Wissen und klärt das Volk über die neuesten Errungenschaften auf.

    Denis Diderot, Philosoph und Schriftsteller von internationalem Ruf

    Denis Diderot wurde 1713 in Langres geboren, im Hause Nr. 9 des Platzes, der heute seinen Namen trägt. Die ersten 15 Jahre seines Lebens lebte er im Haus Nr. 6 am selben Platz, wo sein Vater ein Geschäft als Messerschmied betrieb.
    „Ich gehöre zu meiner Stadt.“ sagte er.
    Die Stadt Langres fühlt sich geehrt, einen so bedeutenden Mann bei sich heranwachsen zu sehen, der später, zusammen mit Voltaire und Rousseau zu den Hauptfiguren der Aufklärung gehören sollte.
    Es ist bekannt, dass Diderot der Hauptinitiator der wissenschaftlichen Enzyklopädie war. Weniger bekannt ist, dass er auch Autor anspruchsvoller literarischer und philosophischer Texte war, die bis zu seinen letzten Tagen teilweise unbekannt waren.
    Weltweit studieren, kommentieren und interpretieren zahlreiche Forscher an Universitäten Diderots vielfältiges Schaffen.

    DIDEROT in einigen Daten:

    >  5. Oktober 1713 – Geburt im Haus Place Chambeau, Nr. 9, heutzutage Place Diderot.
    Der Vater, Didier Diderot, Messerschmiedmeister, fabrizierte feine Schneidwaren und chirurgische Instrumente. Diderot wuchs in einer Familie mit sieben Kindern auf, unter ihnen Didier, der zukünftige Domherr; Angélique, angehörig der Religion der Ursulinen und Denise, „Sœurette“ (dt. Schwesterchen) genannt, die dazu beitrug, die Verbindung mit dem Vater und dem Bruder aufrecht zu erhalten.
    >  1723 – 1728 – Studium an der Jesuitenschule. Denis war ein ausgezeichneter Schüler.
    >  1728 - Diderot verließ Langres und ging nach Paris, wo er sein Studium fortsetzte und sich letztendlich niederließ.
    Diderot blieb seiner Familie und seinem Heimatland sehr verbunden, welche auf ihn eine geheimnisvolle Attraktion ausübten. Er ist mehrmals dorthin zurückgekehrt, v.a. 1759, nach dem Tod seines Vaters. Ab 1770 hielt er sich in Bourbonne-les-Bains auf.
    >  1781 – offerierte er der Stadt Langres seine Büste in Bronze, Modell Houdon.
    >  31. Juli 1784
    – Diderot verstarb.

    DIDEROT, Kurzvorstellung

    - L’Encyclopédie
    - Les Lettres à Sophie Volland
    - Les Pensées Philosophiques
    - La Lettre sur les Aveugles
    - Pensées sur l’interprétation de la nature
    - La Religieuse
    - Essais sur la peinture et Salons
    - Le Neveu de Rameau
    - Le Paradoxe sur le Comédien
    - Jacques le Fataliste

    Quelle : https://www.tourisme-langres.com/de/geburtsstadt-von-denis-diderot_1030.html


René Descartes
1596 - 1650
René Descartes
  • Der französische Philosoph Rene Descartes strebte nach völliger Gewissheit. Um sie zu finden, stellte er alles infrage: seine eigene Existenz, die der Welt und sogar die von Gott. Mit seinen Zweifeln machte er sich nicht nur Freunde. Weshalb Descartes sich manchmal wünschte, er hätte besser geschwiegen. Doch seine Ideen beschäftigen die Philosophen bis heute, 300 Jahre danach.

    "Cogito ergo sum: Ich denke, also bin ich!"

    Ob Mathematik, Astronomie oder Philosophie - Rene Descartes war ein vielseitiger Forscher. Noch heute nennt man ein Koordinatensystem mit rechtwinkligen Achsen nach dem großen Gelehrten "kartesisch".

    Wie Rene Descartes lebte

    Erst um zehn Uhr Unterrichtsbeginn? Da wird manch einer neidisch! Als Rene seine Klasse betritt, ist die Mathematikstunde jedenfalls fast vorüber. Wie immer. Kein Wunder, dass die anderen Schüler im Jesuitenkolleg des französischen Städtchens La Fleche verärgert murmeln. "Warum wird dieser Kerl eigentlich nie bestraft?", zischt einer. "Das ist doch unfair!" Rene wendet sich dem Kritiker zu. "Ich war als Baby so krank, dass die Ärzte dachten, ich sterbe", sagt er ruhig. "Seitdem muss ich mich schonen und viel schlafen."

    Rene Descartes (ausgesprochen: De-kart) bleibt sein Leben lang kränklich. Und doch hat kaum ein anderer Denker der Neuzeit die Philosophie so verändert wie er. Noch heute gilt er als Universalgenie, weil er sich in ganz verschiedenen Wissenschaften gründlich auskannte; und als Rebell, der wegen seiner Ansichten jahrelang von Kirchenfürsten verfolgt wurde.

    Nach der Schule und dem Jurastudium möchte Rene erst einmal die Welt kennen lernen. Die besten Möglichkeiten dazu bietet das Militär. Mehrere Jahre zieht er als Offizier durch Europa, sieht Deutschland, Holland, Österreich und Ungarn. Bis sich im Winter des Jahres 1619, im Alter von 23 Jahren, sein Leben wendet: Als seine Kompanie bei Ulm eingeschneit festliegt, träumt er eines Nachts, er sei zum Philosophen berufen. "Es ist mir das Licht einer wunderbaren Einsicht aufgegangen", schreibt er.

    Wie Rene Descartes die Welt veränderte

    Von nun an stürzt sich Descartes auf seine Forschungen. In wenigen Jahren saugt der begabte junge Mann eine Unmenge Wissen auf. Er veröffentlicht Schriften zu Medizin und Wetterkunde, Physik und Mathematik. Noch heute nennt man ihm zu Ehren jedes Koordinatensystem mit senkrecht aufeinander stehenden Achsen das "kartesische Koordinatensystem".

    Sein Lieblingsgebiet aber ist und bleibt die Philosophie. Hier beschäftigt ihn vor allem eine Frage: Was ist wirklich? Gibt es die Dinge überhaupt, die wir sehen, hören oder riechen? Andere Menschen, Bäume oder Häuser? Vielleicht ist das alles gar nicht sicher. Das ganze Leben könnte doch auch nur ein Traum sein.

    Gibt es möglicherweise gar nichts wirklich?

    Ein erschütternder Gedanke. Aber nach langem Grübeln findet Descartes eine Antwort, die ihn zufrieden stellt: Wenn ich zweifle, dann denke ich, überlegt er sich. Und weil ich denke, kann ich mir sicher sein, dass es mich gibt. Da ist es ganz egal, ob das im wachen Zustand oder im Schlaf geschieht. Schließlich könnten wir ja auch nicht träumen, wenn es uns nicht gäbe. "Ich denke, also bin ich!" Oder auf Latein: "Cogito ergo sum." Diese Erkenntnis von Rene Descartes wird weltweit berühmt wie nur wenige andere Lehrsätze der Philosophie.

    Wie bei einem mathematischen Beweis zieht der Philosoph nun weitere Schlüsse: Weil wir Menschen an Gott denken, folgert er etwa, muss es Gott geben. Ein so dummes Lebewesen wie der Mensch könne sich unmöglich von selbst etwas so Vollkommenes ausdenken!

    Von der Welt der Gedanken und der Seele, glaubt Descartes auch, ist die Welt der greifbaren Dinge fast völlig getrennt. Das ganze Universum hält er für eine Art riesiges Uhrwerk, das automatisch immer weiterläuft. So ziehen die Sterne ewig über den Himmel; ballen sich Regenwolken zusammen; funktionieren sogar Lebewesen als kleine Rädchen im Weltgetriebe. Allein wir Menschen können durch eine Drüse im Gehirn unseren Körper beeinflussen und dadurch eine Verbindung zwischen der Welt des Geistes und der greifbaren Welt schaffen, lehrt der Philosoph. Wenn wir uns zum Beispiel wünschten - oder, besser gesagt, unser Geist -, das linke Bein zu heben, dann drücke die Drüse eine Portion "Lebensgeist" Richtung Beinmuskeln - und schon hebe sich das Bein.

    Descartes lebt zurückgezogen und schreibt an seinen Werken zunächst heimlich. Denn er ahnt, dass er sich mit seinen radikalen Ideen Feinde machen wird.

    Und genau so kommt es auch: Kaum sind die ersten Schriften erschienen, bricht öffentliche Empörung los. Viele Geistliche beschimpfen ihn als Zweifler und als Ungläubigen. Im 17. Jahrhundert kann solch ein Vorwurf gefährliche Folgen haben. Die katholische und protestantische Kirche und einige Universitäten verbieten seine Bücher. "Hätte ich nur geschwiegen", geht ihm häufig durch den Kopf, "dann hätte ich meine Ruhe." Das hält ihn allerdings nicht davon ab, seine Philosophie weiterzuentwickeln.

    Schließlich fühlt sich Descartes selbst im wenig strengen Holland, wo er seit 1628 lebt, nicht mehr wohl. Im Alter von 53 Jahren folgt der Philosoph einer Einladung der schwedischen Königin Christine nach Stockholm. Ein schwerer Fehler, wie er bald feststellt.

    Denn dort muss der gewohnheitsmäßige Langschläfer arg früh aufstehen: Die Königin wünscht schon morgens um fünf mit ihm zu philosophieren. Und die garstige Kälte des Nordens greift die Gesundheit des empfindlichen Genies an. Das erträgt der Philosoph nicht lange. Im Februar 1650 stirbt Rene Descartes an einer Lungenentzündung.

    Quelle: https://www.geo.de/geolino/mensch/18841-rtkl-philosophie-rene-descartes von Maren Wernecke


Jean-Jacques Rousseau
1712 - 1778
Jean-Jacques Rousseau
  • Er war einer der wichtigsten französischen Schriftsteller des 18. Jh. ROUSSEAUS Werk steht zwischen der Aufklärung des 18. Jh., was seine leidenschaftliche Verteidigung der Vernunft und der individuellen Rechte belegt, und der Romantik des frühen 19. Jh., die dem rationellen Denken eine starke subjektive Erfahrung gegenüberstellt.

    Besonders durch seine Betonung der Willensfreiheit übte er starken Einfluss auf die Psychoanalyse und Existenzphilosophie des 20. Jh. aus. Seine Erziehungstheorie, dargelegt im Émile, führte zur Herausbildung toleranterer und psychologisch orientierter Methoden der Kindererziehung. Stark angeregt durch ROUSSEAU wurde der Pädagoge JOHANN HEINRICH PESTALOZZI. Seine Romane „Die neue Heloise“ und „Bekenntnisse“ übten starken Einfluss auf die französische Literatur der Romantik sowie auf die Schriftsteller J. G. HERDER, J. W. VON GOETHE und F. VON SCHILLER aus. Seine politischen Theorien wirkten besonders auf I. KANT.

    Kindheit

    JEAN-JACQUES ROUSSEAU wurde am 28. Juni 1712 in Genf geboren. Er entstammte einer calvinistischen Familie, die nach Aufhebung des Edikts von Nantes im schweizerischen Exil leben musste.

    Kurz nach seiner Geburt war die Mutter verstorben. Ihren Platz nahm zunächst die Schwester seines Vaters ein. Gemäß ROUSSEAUS Erinnerungen beeinflusste sie das Lebensgefühl des Kindes mit ihrer Warmherzigkeit und sanften Art stark.

    JEAN-JACQUES war ein sehr wissbegieriges Kind – bereits mit zweieinhalb Jahren lernte er lesen. Später interessierte er sich vor allem für Romane. Zum Lesen angeregt wurde er durch den Vater, den Uhrmacher ISAAC ROUSSEAU, der selbst mit größter Begeisterung Romane las.
    JACQUES lernte schon frühzeitig Schriften der Profan- und Kirchengeschichte, der Dichtung oder der Philosophie, Texte antiker Denker wie OVID oder PLUTARCH kennen. In seinen Bekenntnissen schreibt er, dass ihm diese Lektüre vom Leben

    „wunderliche und romanhafte Vorstellung (vermittelte), von der Erfahrungen und Überlegungen mich niemals haben heilen können“.

    Sein Vater musste 1722 aufgrund einer Auseinandersetzung mit einem ehemaligen Offizier Genf verlassen, um einer Verhaftung zu entgehen. Der zehnjährige JACQUES wurde deshalb dem Bruder der verstorbenen Mutter, GABRIEL BERNARD, und dessen Frau anvertraut. Der Onkel schickte den Jungen zu einem calvinistischen Geistlichen, JEAN-JACQUES LAMBRECIER. Jener betreute eine dörfliche Gemeinde südlich von Genf. In dieser ländlichen Idylle, fern von städtischer Hektik, entdeckte ROUSSEAU seine Liebe zur Natur. Das unbekümmerte Landleben wurde für ihn zum Inbegriff von Reinheit und Natürlichkeit. Von LAMBRECIER wurde er in Latein, Mathematik und den Vorschriften des Katechismus unterwiesen.

    Nach einer grundlosen Beschuldigung wurde er von LAMBRECIER hart bestraft. Er verlor das Vertrauen zu LAMBRECIER und ging nach Genf zurück. Die Sensibilität für Ungerechtigkeit hat er zeitlebens nicht verloren.

    Die Pubertät mit einhergehender Ablehnung jeglichen Zwangs führte zu häufigem Ärger mit verschiedenen Ausbildungsleitern. ROUSSEAU entfloh der Realität, indem er Bücher im wahrsten Sinn verschlang und sich eine Traumwelt schuf.

    Wanderjahre und Studien

    Zuletzt hatte ROUSSEAU eine Lehre bei dem Graveur ABEL DUCOMMUN aufgenommen. Mit 15 Jahren brach er die Lehre ab und verließ seine Vaterstadt. In den folgenden vier Wanderjahren ließ sich ROUSSEAU zum katholischen Glauben bekehren. Er lernte seine spätere Gönnerin und Geliebte Baronin DE WARENS kennen. Diese entdeckte sein musikalisches Talent. Er arbeitete als Lakai, Musiklehrer und Erzieher. Die Baronin ermöglichte ihm intensive Lektüre und vielseitige autodidaktische Studien. So las ROUSSEAU unter anderem Schriften von LOCKE, LEIBNIZ, DESCARTES, NEWTON, HOBBES, MACHIAVELLI und Werke über Geschichte Religion, Psychologie und Anthropologie. Er beschäftigte sich mit PLATO, CICERO, VOLTAIRE, verbesserte seine Lateinkenntnisse, musizierte, zeichnete und führte chemische und medizinische Experimente durch.

    ROUSSEAU ging nach Lyon, wo er als Erzieher arbeitete. Hier stellte er erste Überlegungen zu Fragen der Erziehung an.
    1742 zog ROUSSEAU nach Paris. Er entdeckte die ihn faszinierende Lebensweise der Aufklärung. Er besuchte Theater, Konzerte, Lesungen an der Akademie der Schönen Künste und verfolgte interessiert die Debatten an der Akademie der Wissenschaften. Seinen Lebensunterhalt bestritt er als Musiklehrer, schrieb Noten ab und war Sekretär. Im Alter von 31 Jahren wurde er Sekretär des französischen Botschafters der Republik Venedig. Der Botschafter füllte sein Amt nur ungenügend aus und überließ ROUSSEAU den Hauptteil der Arbeit. Nach einem Streit mit seinem adligen Vorgesetzten kehrte der Handwerkersohn ROUSSEAU 1745 nach Paris zurück.
    Er lernte den französischen Philosophen DENIS DIDEROT kennen, der ihn beauftragte, musiktheoretische Beiträge für die französische Encyclopédie zu schreiben. In Paris lebte er zusammen mit THÉRÈSE LEVASSEUR. Die fünf Kinder, die aus dieser Beziehung hervorgingen, ließ er im Waisenhaus aufziehen. Noch zu Lebzeiten musste er deswegen scharfe Kritik hinnehmen, nicht zuletzt durch die Schmähschriften VOLTAIRES.

    ROUSSEAU und die Aufklärung

    1747 starb ROUSSEAUS Vater. Das Erbe und seine Einkünfte als Sekretär verschafften ihm erstmals finanzielle Sicherheit. Besonders durch seine Freundschaft mit DENIS DIDEROT war er im Milieu der Aufklärung bereits akzeptiert. Nach seinem Beitrag für die Encyclopédie machte er auch durch eigene Kompositionen auf sich aufmerksam. Bekannt wurde sein Singspiel „Der Dorfwahrsager“, bei dessen Aufführung am Hofe Madame POMPADOUR eine Rolle übernahm. Rousseau wurde damit über die Grenzen Frankreichs hinaus bekannt.

    Einen größeren und auch langlebigeren Erfolg brachte ihm 1750 seine Antwort auf die Preisfrage der Akademie von Dijon. ROUSSEAU beantwortete die Frage, ob der Fortschritt von Wissenschaft und Kunst zur Läuterung von Sitten und Moral beigetragen habe, mit einem negativen Beweis („Discours sur les sciences et les arts“) und erhielt dafür den Preis. 1755 stellt er in seinem „Discours sur l'origine et les fondements de l'inégalité parmi les hommes“ die Entwicklungen von einer glücklichen Urgesellschaft bis zur Rechtsungleichheit in der zivilisierten Gesellschaft dar.

    Danach begann ROUSSEAU in selbst gewählter relativer Armut zu leben. Dieser Lebensstil, der sich auch in seiner Kleidung offenbarte, war gepaart mit intellektueller Arroganz und führte zu Spannungen mit seiner Umgebung. Er verließ Paris, ging für kurze Zeit nach Genf, wo er erneut zum calvinistischen Glauben übertrat. 1756 zog er sich dann in die Abgeschiedenheit von Montmorency zurück.

    Die Hauptwerke Rousseaus

    In den Jahren 1756 bis 1762 verfasste ROUSSEAU in Montmorency seine Hauptwerke. Er schrieb 1761 den im Frankreich des 18. Jh. sehr beliebten tragisch-sentimentalen Briefroman „Julie oder Die neue Héloise“, 1762 die berühmte staatstheoretische Abhandlung vom Gesellschaftsvertrag „Du contrat social ou principes du droit politique“.

    Im „Gesellschaftsvertrag“ vertrat er die Theorie, dass der Staat als politische Organisation auf dem Gesellschaftsvertrag beruht, der von den Bürgern freiwillig eingegangen wurde. Seine Verteidigung des Gemeinwillens (volonté générale) gegenüber dem absolutistischen Staat, bildete die theoretische Grundlage der Französischen Revolution. Diese Arbeit übte vor allem großen Einfluss auf die Rechtsphilosophen KANT, FICHTE, HEGEL und MARX aus. Sein Entwurf vom mündigen Bürger, der sich freiwillig dem idealen Gemeinschaftswillen unterwirft, ohne seine persönliche Freiheit aufzugeben, wirkt bis in unsere Gegenwart hinein.

    Mit seinem einflussreichen Roman „Émile oder über die Erziehung“ („Émile ou de l'éducation“) geriet ROUSSEAU mit der französischen und schweizerischen Obrigkeit in Konflikt und floh zunächst nach Preußen. Weder Paris noch Den Haag oder Bern waren bereit, den unbequemen Philosophen aufzunehmen. Nach weiteren wechselnden Aufenthaltsorten floh er auf Einladung von DAVID HUME nach England. In seinem Erziehungsroman forderte ROUSSEAU die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Kindes und stellte Erziehungstheorien auf, die PESTALOZZI stark beeinflussten und bis in die Gegenwart wirken. Leider kam es während dieser Schaffensperiode zum Bruch mit VOLTAIRE.

    ROUSSEAU fühlte sich missverstanden, alleingelassen und verfolgt.
    Der inzwischen psychisch labile Schriftsteller und Philosoph kehrte 1767/68 unter dem Pseudonym RENOU nach Frankreich zurück. Hier heiratete er schließlich 1768 THÉRÈSE LEVASSEUR und bezog 1770 wieder eine Wohnung in Paris. Er vollendete 1770 sein autobiografisches Werk „Confessiones“ („Bekenntnisse“). Die „Bekenntnisse“ sind eine vollständige Darstellung seines Lebens – von der Kindheit bis ins Alter. Schonungslos enthüllt er sein Leben, seine Gedanken, Handlungsmotive – es gibt wohl kaum eine ehrlichere Darstellung des eigenen Lebens. Die Bekenntnisse waren als Rechtfertigung konzipiert – in einer Zeit, die den unbequemen Denker nicht verstehen wollte.

    JEAN-JACQUES ROUSSEAU starb am 2. Juli 1778 in Ermenonville bei Paris. Sein letztes Werk „Träumereien eines Spaziergängers“ konnte er nicht mehr vollenden. Auch die Französische Revolution, die er stark beeinflusst hat, erlebte er nicht mehr.

    Quelle: https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/geschichte/artikel/jean-jacques-rousseau#


Max Stirner
1806-1856
Max Stirner
  • Das 1844 erschienene Buch »Der Einzige und sein Eigentum« stellt wie kein anderes vor und nach ihm konsequent und mit nicht zu überbietender Radikalität den Einzelmenschen ins Zentrum seiner Überlegungen.

    Nach der Destruktion der Abstrakta Mensch und Menschheit bleibt der Egoist als selbstmächtiger Eigner seiner selbst als Einziger übrig. So tritt an die Stelle von Hegels ewigem Sein Stirners einmaliges, vergängliches, unvergleichliches, unwiederholbares Ich.

    „Ich hab mein' Sach auf Nichts gestellt.“

    Dieses Ich, das sich frei gemacht hat von allen fremden Setzungen, trennt sich auch von den bisherigen Eigentumsvorstellungen und ihren Begründungen und fundiert Eigentum im Vermögen, anzueignen, mit anderen Worten: in der Ermächtigung meiner selbst; die eigene, geradezu prometheische Selbstmächtigkeit ist die Voraussetzung, Eigentum als das zu erkennen, was es ist: als »unbeschränktes Eigentum«, so unbeschränkt und grenzenlos wie die Grenzenlosigkeit des Einzigen.

    Viele hat Stirner beeinflusst: Philosophen, Pädagogen, Schriftsteller, Politiker, Künstler – doch nur wenige gestanden dies ein und bekannten sich dazu, von ihm beeindruckt gewesen oder gar inspiriert worden zu sein.

    Max Stirner wurde am 25. Oktober 1806 in Bayreuth geboren. Zwischen 1826 und 1835 studierte er in Berlin (u.a. bei Hegel), Erlangen und Königsberg. Er war Lehrer, seit 1842 Mitarbeiter wichtiger Zeitungen (u.a. der Rheinischen Zeitung in Köln). Er starb am 25. Juni 1856 in Berlin.


Karl Marx
1818 - 1883
Karl Marx
  • Am 5. Mai 1818, wurde Karl Heinrich Marx in Trier geboren. Gemeinsam mit seinem Freund Friedrich Engels schrieb er politische Bücher, die die Welt veränderten. Der Kommunismus und der Sozialismus sind Teile ihrer Ideen.

    Marx und Engels: Wichtige Freundschaft

    Karl Marx und Friedrich Engels lebten im 19. Jahrhundert. Es war die Zeit der Industriellen Revolution. Damals entstanden die ersten Fabriken. Die Arbeiter bekamen wenig Lohn für ihre harte Arbeit in den Fabriken. Es war der Beginn des Kapitalismus.


    Karl Marx arbeitete zunächst als Journalist in Köln. Er fand es ungerecht, dass die Arbeiter abhängig waren von den Fabrikbesitzern und nur wenig verdienten. Die Arbeiter hatten kaum Rechte und die meisten Fabrikbesitzer nutzten die Not der Arbeiter aus. Die Texte von Karl Marx sorgten für viel Aufruhr.


    Karl Marx war eng befreundet mit Friedrich Engels, einem Fabrikantensohn aus Wuppertal. Die beiden Männer hatten ähnliche politische Ansichten. Obwohl sie ganz unterschiedliche Lebensweisen hatten – Engels ging es finanziell gut, Marx hatte oft Geldprobleme – blieben sie bis zu ihrem Lebensende gute Freunde und arbeiteten zusammen.

    Gemeinsames Buch „Das kommunistische Manifest“

    Marx machte sich Gedanken darüber, wie man die Wirtschaft und den technischen Fortschritt gerecht gestalten könnte. In London schrieb er gemeinsam mit Friedrich Engels im Jahr 1848 das berühmte Buch „Das kommunistische Manifest“. Darin forderten die beiden Autoren das Ende der "Ausbeutung des Menschen durch den Menschen". Das Privateigentum sollte abgeschafft werden. Der technische Fortschritt sollte allen Menschen und nicht nur einigen wenigen zugutekommen. Nach dem Ende der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen würde über kurz oder lang, so die Ansicht von Marx und Engels, eine klassenlose Gesellschaft entstehen, in der alle Menschen gleichberechtigt wären. Keine bestimmte Gruppe in der Gesellschaft würde bevorzugt. Es entstand die politische Lehre des Kommunismus. Die Lehre von Karl Marx wurde "Marxismus" genannt.

    Im "Kommunistischen Manifest" von 1848 haben Karl Marx und Friedrich Engels ihre Ideen zur Veränderung der Gesellschaft niedergeschrieben.

    Einfluss über den Tod hinaus

    Karl Marx verstarb am 14. März 1883 in März in London. Die politischen Ideen und Forderungen des Philosophen und Journalisten haben immer viele Menschen fasziniert, andere haben sie rigoros abgelehnt. Im 20. Jahrhundert haben Staatsführer auf der ganzen Welt versucht, die Ideen einer klassenlosen Gesellschaft umzusetzen. Keiner dieser Versuche ist geglückt. Vielmehr sind zum Beispiel in der Sowjetunion im Namen der kommunistischen Idee viele Millionen Menschen umgebracht worden, weil sie den Kommunismus ablehnten. Heute sind Nordkorea und Kuba bekannte kommunistische Staaten. Auch China gehört dazu. In keinem dieser Länder ist es gelungen, die Ideen von Karl Marx zu verwirklichen.

    Quelle: https://www.hanisauland.de/node/1151


Ludwig Feuerbach
1804 - 1872
Ludwig Feuerbac
  • Ludwig Feuerbach und „Das Wesen des Christentums." Auf der Höhe seines wissenschaftlichen Ruhmes wurde Feuerbach mit seinem Hauptwerk Das Wesen des Christentums 1841 sowie seinen Vorläufigen Thesen zur Reform der Philosophie 1842 und seinen Grundsätzen der Philosophie der Zukunft 1843 zu einem der bedeutendsten Vertreter des philosophischen und freigeistigen Fortschritts im Deutschland des Vormärz.

    Seine große historische Leistung, die er in diesen Schriften vollbrachte, ist von grundlegender aktueller Bedeutung. Sie besteht darin, die Philosophie nach einer mehr als 100-jährigen Herrschaft der spekulativen idealistischen Philosophie in Deutschland wieder auf den Boden der Realität gestellt und auf ein bis dahin nicht da gewesenes Niveau gehoben zu haben. Feuerbach enthüllte den theologischen Kern einer jeden idealistischen Philosophie und trieb eine wissenschaftliche Religionskritik voran.

    Gegenstand seiner philosophischen Kritik waren das Wesen des Christentums, d.h. die christliche Religion und – als Konsequenz ihres Wesens – die christliche Theologie und Philosophie mit dem Hauptakzent auf der spekulativen Identitätsphilosophie Hegels. Das Prinzip, das seiner philosophischen Kritik zugrunde liegt und dieselbe leitet, ist der Materialismus – ein philosophisches Denken, das seine Gedanken mittels der Sinnestätigkeit auf Materialien und Gegenstände gründet, die außerhalb des menschlichen Bewusstseins existieren.

    Das Ergebnis seiner philosophischen Kritik ist die Erkenntnis, dass nichts Göttliches das höchste Wesen für den Menschen ist, sondern der Mensch selbst. Namentlich durch seine Entschlüsselung der gnoseologischen Wurzeln der Religion hat Ludwig Feuerbach – nach dem Eingeständnis des bedeutenden Vertreters der modernen protestantischen Theologie, Karl Barth – einen „Pfahl ins Fleisch der Theologie“ gerammt.

    Feuerbachs Religionskritik repräsentiert in der neueren Geschichte der Philosophie und Wissenschaft die radikalste Absage an das Christentum und die sie rechtfertigende Theologie und Philosophie.

    Ludwig Feuerbach - Philosophie und Naturwissenschaft

    Die in diesem Rahmen der philosophischen Kritik von Feuerbach vorgetragenen Argumente über das Verhältnis von Philosophie und Naturwissenschaft, besonders gegen theologische Interpretationen der modernen Naturwissenschaften sowie gegen eine Vermischung von Glaube und Wissenschaft sind von bleibender Aktualität.

    Kritik am Christentum

    Seine philosophische Kritik am Christentum und deren Theologie war für Feuerbach zeit seines Lebens untrennbar mit seinem Kampf für Recht und Wahrheit verbunden. Er lebte Unbeugsamkeit vor den Kräften der Reaktion, ein unerschütterliches Eintreten für die Wissenschaft, gegen Scheinwissenschaft und Aberglauben, eine Verbundenheit mit den einfachen Menschen und seinen Glauben an die Kraft des Volkes vor.

    Tausende Arbeiter umstanden das Grab Ludwig Feuerbachs, als dieser am 15. September 1872 auf dem Nürnberger Johannisfriedhof zur letzten Ruhe gebettet wurde, und bekannten sich zu ihm als Humanisten und Philosophen.

    Literatur: Ludwig Feuerbach zwischen Religionskritik und Geistesfreiheit / Hrsg. V. Mueller. – Neustadt/Rbge. : Lenz, 2004

    Autor: Peter Jäckel, Volker Mueller

    Quelle: Erstveröffentlichung im Lexikon freien Denkens, Anglika Lenz Verlag 2004
    https://www.juraforum.de/lexikon/ludwig-feuerbach


Sigmund Freud
1856 - 1939
  • Die Erkenntnis, dass der Mensch in den allerersten Kindertagen Gefühle entwickelt, die ihm päter als Erwachsener nicht bewusst sind (das sog. Unbewusste), ist Freuds grösster Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Modernen Psychologie und Erziehungswissenschaft.

    „Die Biografen sollen sich plagen ...“ schrieb der junge Freud 1885 in einem Brief an seine Braut Martha Bernays, nachdem er Unterlagen, Briefe und andere schriftliche Zeugnisse vernichtet hatte. Das sind Zeilen, die sowohl von großem Selbst- und Sendungsbewusstsein als auch von nicht minder großem Ehrgeiz künden: Immerhin war Freud, als er dies schrieb, erst 29 Jahre alt und ein noch völlig unbekannter junger Arzt. Aber weder das Dunkel, das über seiner Kindheit und Jugend liegt, noch der Umfang seines Werkes haben die Biografen davon abgehalten, über den Mann zu schreiben, der Ende des 19. Jahrhunderts das Unbewusste entdeckte und mittels einer Sprechkur die Strukturen dieses Unbewussten bei seinen Patientinnen und Patienten freizulegen versuchte. 

    Als Klassiker der Freud-Biografie gelten die Arbeiten von Ernest Jones, einem Schüler Freuds, das Buch von Freuds Arzt Max Schur sowie das 1989 erschienene Standardwerk des amerikanischen Historikers Peter Gay. Nun hat der Berliner Literaturwissenschaftler Peter André Alt der Freud-Literatur eine weitere Biografie hinzugefügt. Alt nennt sein Buch „Sigmund Freud. Der Arzt der Moderne“ und – so viel sei schon hier gesagt – bringt im engeren biografischen Sinn wenig Neues. Im Zentrum der über 1000 Seiten umfassenden Untersuchung stehen bei ihm Freud als „Mann der Wissenschaft“, als den er sich selbst immer gesehen hat, und die rekonstruierende Annäherung an das Werk. Einleitend gibt der Verfasser an, warum die Rekonstruktion sich auch heute noch lohnt: 

    „Es steht außer Frage, dass Freuds Lehre heute in einigen Punkten historisch überholt oder zumindest von der Geschichte konditioniert ist. Ihr Geschlechterbild, ihr Verständnis abweichender sexueller Praktiken, ihr Körpermodell und ihre Kulturtheorie waren stark geprägt von der Epoche des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Freuds strenger Dogmatismus und die unerbittliche Konsequenz seiner Lehre lassen sich heute nur nachvollziehen, wenn man den gesellschaftlichen Puritanismus dieses versunkenen Zeitalters berücksichtigt, gegen den sie aufgeboten wurde.

    Trotz der Irrwege, die Freud auch ging, kann man aber die kulturhistorische Leistung nicht leugnen, die seine Lehre als Moment der Moderne, als Instrument ihrer Deutung und ihr Motor zugleich vollbracht hat.“

    Weiterlesen: https://www.deutschlandfunk.de/biografie-ueber-sigmund-freud-patriarch-bis-zum-ende.700.de.html?dram:article_id=366800 


Francisco Ferrer Guardia
1859 - 1909
  • Er war Gründer und geistiger Vater der "Escuela Moderna"- der Modernen Schule - in Barcelona.

    Als Ferrer 1901 sich ans Werk machte, die Bestrebungen der antiklerikalen Schulen einheitlich zu organisieren, dieselben mit neuen Textbüchern zu versehen und ihre Unterrichtsstunden auf das höchste Niveau der modernen Pädagogik zu erheben, war dies ein höchst empfindlicher Schlag für die Mächte des religiösen Aberglaubens und der klerikalen Herrschaft.

    Der geistige Boden war also gut vorbereitet für die Saat die Ferrers Moderne Schule in Barcelona ausstreute. Sein großes Verdienst bestand nicht bloß darin, der Bewegung einen neuen Anstrich gegeben zu haben, sondern hauptsächlich darin er seine Begeisterung, sein Vermögen, sein Organisationstalent der Aufgabe widmete, die bereits ausgestreute Saat zur Reife zu bringen, die Methoden des Unterrichts zu vervollkommnen, und den Schulen eine reiche und mannigfaltige Reihe von Textbüchern zu geben.

    Ferrers Moderne Schule war nicht die erste ihrer Art, aber jedenfalls die lebenskräftigste von allen nicht-kirchlichen Schulen Spaniens. Bald vermehrte sich die erste in Barcelona gegründete Schule, ihr Einfluss breitete sich aus, und im Jahre 1906 gab es in Katalonien und anderswo bereits sechzig Schulen nach ihrem Muster.

    Betrachten wir nun die Grundzüge von Ferrers Bestrebungen und ihre praktische Durchführung. Im Manifest, das Ferrer anlässlich der Eröffnung der ersten Schule in Barcelona herausgab, äußerte er sich folgendermaßen über seine Ideen:

    "Die eigentliche Frage besteht für uns darin, sich der Schule als des wirksamsten Mittels zu bedienen, um zur vollständigen geistigen, intellektuellen und wirtschaftlichen Befreiung der Arbeiterklasse zu gelangen. Wenn wir uns alle darüber einig sind, dass die Arbeiter, oder besser gesagt, die ganze Menschheit, nichts von irgend einem Gott oder irgend einer übernatürlichen Macht erwarten darf, können wir diese Macht durch eine andere, z.B. den Staat, ersetzen? Nein, die Befreiung des Proletariats kann nur das unmittelbare und selbstbewusste Werk der Arbeiterklasse selbst, ihres Willens zu lernen und zu wissen, sein. Wenn das arbeitende Volk unwissend bleibt, so wird es immer in der Knechtschaft der Kirche oder des Staates, d.h. des Kapitalismus, der diese zwei Mächte vertritt, verbleiben. Wenn es im Gegenteil seine Kraft aus der Vernunft und dem Wissen schöpft, wird sein wohlverstandenes Interesse es bald dazu bringen, der Ausbeutung ein Ende zu machen, damit der Arbeiter das Schicksal der Menschheit in seine Hände nehmen kann. Deshalb handelt es sich unserer Meinung nach vor allem darum, die Arbeiterklasse in die Lage zu versetzen, diese Wahrheiten zu verstehen.

    Begründen wir ein Erziehungssystem, durch das das Kind rasch und leicht dazu gelangen kann, den Ursprung der wissenschaftlichen Ungleichheit, der religiösen Lüge, der verderblichen Vaterlandsliebe und der althergebrachten Gewohnheiten in der Familie und anderswo, die es in Sklaverei erhalten, zu erkennen. Es ist nicht der Staat, der Ausdruck des Willens einer ausbeuterischen Minderheit, der uns helfen kann, dieses Ziel zu erreichen. Dies zu glauben, wäre der verderblichste Wahnsinn.

    Wenn ihr gute Kaufleute, geschickte Buchhalter, fähige Beamte haben wollt – mit einem Wort Leute, die bloß daran denken, sich ihre eigene Zukunft zu sichern, ohne sich um andere zu kümmern – dann wendet euch an den Staat, an die Handelskammern, an alle patriotischen Vereine und Gesellschaften. Wenn ihr aber eine Zukunft der Brüderlichkeit, des Friedens und des Glückes für Alle vorbereiten wollt – wie ihr es wollen müsst! – dann wendet euch an euch selber, an jene, die unter dem bestehenden System leiden und gründet Schulen wie die unsere, in der ihr alle Wahrheiten, die die Menschheit erworben hat, lehren könnt."

    Das Programm der Schule gibt weiter Aufschlüsse über die Organisation und die in ihr erteilte Art des Unterrichtes:

    Die Aufgabe der "Modernen Schule" ist: die ihr anvertrauten Kinder – Knaben und Mädchen – so zu erziehen, dass sie zu Männern und Frauen werden, die frei und selbständig denken und die Wahrheit und Gerechtigkeit lieben. Um dieses Ziel zu erreichen, ersetzt die Schule die dogmatische Methode der Theologie durch die vernunftgemäss Methode der Naturwissenschaft, mit der Absicht, die besonderen Fähigkeiten eines jeden einzelnen Schülers zu erwecken, zu entwickeln und zu kultivieren; so dass die angeborenen und verborgenen Fähigkeiten eines jeden Kindes vollen Spielraum erhalten und so dasselbe nicht nur ein nützliches Mitglied der Gesellschaft, sondern auch, dank seiner speziellen Erziehung, ein Werkzeug der geistigen und moralischen Hebung der Masse werden kann. Der Unterricht ist auf der fortschreitenden Entwicklung des Kindes aufgebaut und vermeidet alle atavistischen reaktionären Instinkte – Religion, Rassenfeindschaft, Klassenvorurteile, Kriegsleidenschaft und Vergeltungssucht -, die im Kinde das tote Gewicht der Vergangenheit darstellen und jeden freiheitlichen und zielbewussten Versuch zur Verwirklichung einer besseren Zukunft für die Menschheit vereiteln. Unser Unterricht erkennt weder Dogmen noch Gebräuche an, denn dies sind Formen, die das Leben des Gedankens in Schranken einzwängen, die durch die Forderungen vorübergehender gesellschaftlicher Zustände errichtet wurden.

    Wir verbreiten nur die Ergebnisse, die durch die Tatsachen bewiesen, die Theorien, die durch die Vernunft bestätigt, die Wahrheiten, die durch unumstößliche Beweise bekräftigt sind. Der Zweck unseres Unterrichtes ist, dass das Denken der Menschen ein Werkzeug seines Willens werden soll. Wir wollen, dass die Wahrheiten der Wissenschaft in ihrem eigenen Lichte leuchten und das Denken eines Jeden erhellen, so dass dieser bei seiner Betätigung der Menschheit Glück schaffen kann, ohne dass, wegen der ungerechten Privilegien von Einigen, Andere dafür zu leiden haben.

    Es ist unzweifelhaft, dass das Kind ohne irgend welche vorgefassten Ideen auf die Welt kommt, und dass es während seines Lebens die Idee jener erwirbt, die es umgeben und sein Denken beherrschen. Des weiteren ändert das Kind seine Erfahrungen je nach seiner Beobachtungsfähigkeit und seine Ideen werden durch die Verhältnisse seiner Umgebung bestimmt. Es ist also klar, dass, wenn das Kind so erzogen werden kann, dass es von den wissenschaftlichen Wahrheiten über die Welt, die es umgibt, Kenntnis erhält, und beizeiten gewarnt wird, dass, um Irrtümern vorzubeugen, man unter keinen Bedingungen an irgendetwas blind glauben soll, sondern nur jene Wahrheiten anerkennen darf, die von der Wissenschaft bewiesen sind -dass sich sein Geist in einer dann für jegliches Studium günstigen Richtung entwickeln wird. Um also das Kind in die Lage zu versetzen, sich selbst ein unabhängiges Urteil über die verschiedenen Probleme des menschlichen Lebens zu bilden, ist es wichtig, dass dem Kinde alles, in der Natur und in den Büchern, so dargelegt werde, wie es in Wirklichkeit ist, und nicht so, wie es gewöhnlich in den Schulbüchern dargestellt wird, die bekanntlich mit religiösen und sozialen Vorurteilen getränkt sind. Die Kinder so zu erziehen, dass sie sich frei von Vorurteilen entwickeln, und solche Lehrbücher herauszugeben, um diesen Erfolg zu erzielen – dies ist der Zweck der Modernen Schule.

    Ferrer nahm nicht den Standpunkt ein, dass die für die Kinder bestimmten Bücher nicht von Gott, Religion und anderen sozialen Dogmen reden sollten. Im Gegenteil, er war überzeugt davon, dass die rationalistische Schule alle diese Probleme besprechen kann und muss, um den Weg für das Kind von alledem frei zu machen und ihm, nach reiflicher Prüfung, seine eigene Abstammung und den Ursprung aller Leiden, die die Menschheit in Form der bestehenden Gesellschaftsordnung und ihrer Kämpfe, zum Bewusstsein zu bringen. Mit einem Wort, der Rationalismus in der Schule muss aus dem Kinde einen selbstbewussten Menschen machen, der seine eigene Natur und die Natur, die ihn umgibt, kennt, so dass er, getreu den Prinzipien, von welchen er durchdrungen ist, im Leben seiner Vernunft folgen und zum besten Wohle Aller handeln kann.

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Arnold Dodel
1843 - 1908
Arnold Dodel
  • Mit seiner Streitschrift «Moses oder Darwin  – Eine Schulfrage», die 1890 veröffentlicht wurde und einschlug wie eine Bombe, brachte der Zürcher Universitätsprofessor die Gemüter Zürichs gehörig in Wallung. Wir legen hier einen Auszug aus dieser Schrift vor.

    Darwin und sein Zeitalter

    Von Prof. Dr. Arnold Dodel-Port, Ordentl. Professor an der Universität Zürich 1890

    Die Abstammungsidee, die ja schon bei den alten griechischen Philosophen vor Jahrtausenden über die "Schwelle des Bewusstseins getreten, dann im Jahr 1809 von Lamarck wieder aus dem Schlafe gerüttelt war, ohne jedoch recht zu erwachen: Dieser grosse Gedanke kam nun nicht mehr zur Ruhe.

    Er wetterleuchtete am Geisteshorizont der Zeit bald da, bald dort, einstweilen noch ohne einzuschlagen, noch ohne das grollende Rollen des Donners Doch lag das Gewitter in der Luft; es konnte jeden Augenblick losbrechen und brach dann wirklich los, als im Spätjahr 1859 - also heute vor fast 30 Jahren -das Hauptwerk Darwins erschien.

    Dieses Buch

    «Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampf um's Dasein»

    repräsentiert die Gedanken- und Forscherarbeit von zweiundzwanzig Jahren. Seine Veröffentlichung ist eine weltgeschichtliche Tat von der Bedeutung des Werkes des Copernicus.

    In der Tat ist Darwin der Copernicus der organischen Welt, wie ihn Dubois-Reymond, der Präsident der Berliner Akademie, genannt hat.

    Diese Lehre ist, wie ich im dritten Vortrag zeigen werde, so einfach und so einleuchtend, dass ich annehme, es sei ein Leichtes, sie jedem auch nur mittelmässig begabten Schüler von 14 Jahren verständlich zu machen.

    Aber die Kirche und ihre Sachwalter mitsamt ihren zahllosen Freunden stellen der Abstammungslehre dieselbe Opposition entgegen, wie seinerzeit dem weltumstürzenden Gedanken des copernikanischen Systems.

    Mit dem Jahre 1859 hob ein Kampf an, wie ihn die Culturgeschichte der Menschheit seit den Tagen der Reformation nicht mehr gesehen hat.

    Anfangs der Siebziger Jahre wagte ich als Privatdozent in Zürich ebenfalls, der Abstammungslehre an den beiden Hochschulen offenen Ausdruck zu geben, freilich unter hassender Anfeindung einerseits und dankbarem Beifall anderseits.

    Seither ist der Darwinismus am hiesigen Polytechnikum sogar schon einmal von einem protestantischen Geistlichen in sympathischer Art zum Gegenstand einer Semester-Vorlesung gemacht worden.

    Anders gestaltete sich die Sache bei den Männern der Kirche, die sich gleich anfangs fast ohne Ausnahme zur Abstammungslehre in Opposition stellten.

    Da ging ein Schrei der Entrüstung durch die Herde der geistlichen Hirten.

    «Wie? Die Naturforscher sollten im Ernst es wagen, die Abstammung des Menschen von tierischen Vorfahren lehren zu wollen? Wie? Das Menschengeschlecht -unser eigenes göttliches Geschlecht - sollte seinen Ursprung aus niedrigeren Lebewesen, sogar aus affenähnlichen Vorfahren genommen haben?»

    Auszug aus «Moses oder Darwin» von Prof. Dr. Arnold Dodel-Port, Ordentl. Professor der Botanik an der Universität Zürich, 1890


Peter Kropotkin
1842 - 1921
  • Er erfasst die gegenseitige Hilfe im sozialen Verband als fortschrittliches Prinzip des Lebens

    Nachdem Fürst Pjotr Kropotkin (1842  –1921) als Spross eines alten russischen Adelsgeschlechts die militärische Eliteschule als Jahrgangsbester abgeschlossen hatte, ließ er sich statt auf die Karriereleiter in St. Petersburg zu einem Kosakenregiment in das damals noch unkolonisierte Sibirien versetzen, wo er fünf Jahre lang geographische Studien und Naturbeobachtungen betrieb. Nach seinem Austritt aus dem Militär studierte er Geographie und wurde durch wissenschaftliche Veröffentlichungen bekannt.

    Bei seiner ersten Auslandsreise lernte er 1872 die genossenschaftlich arbeitenden und egalitär organisierten Uhrmachervereinigungen im Schweizer Jura kennen. Fortan versuchte er, diese Ideen in Russland zu verbreiten, worauf er 1874 von der zaristischen Geheimpolizei verhaftet und in Festungshaft genommen wurde. Nach einem spektakulären Ausbruch konnte er 1876 nach London fliehen und bekam als renommierter Geograph eine Anstellung bei der Zeitschrift Nature.

    Als Antwort auf die zu dieser Zeit einsetzende Überbetonung der Thesen Darwins vom „Kampf ums Dasein” und „Überleben des Stärkeren” verfasste Kropotkin eine Artikelserie, aus der 1902 sein berühmtestes Buch wurde: „Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt“.


Leo Tolstoi
1828 - 1910
  • Lew (Leo) Nikolajewitsch Graf Tolstoi entstammte einem alten russischen Adelsgeschlecht. . Er wurde 1828 in Jasnaja Poljana (Gouvernement Tula) geboren, wo er auch begraben liegt.

    Mit neun Jahren war er bereits Vollwaise und wurde unter die Vormundschaft der Schwester seines Vaters gestellt. 1844 studierte er in Kasan zunächst orientalische Sprachen, wechselte dann an die juristische Fakultät. Nach Abbruch des Studiums erste erfolglose Versuche, in Jasnaja Poljana, dem Stammgut der Familie, seine utopischen Landreformen durchzuführen. Ab 1851 diente er in der Kaukasusarmee; 1854/55 Teilnahme am Krimkrieg; 1856 Ende der Militärzeit.
    1860 unternahm Tolstoi eine einjährige Auslandsreise (Deutschland, Frankreich, Italien, England, Belgien). Nach seiner Heirat mit Sofja Andrejewna Behrs wohnte er in Jasnaja Poljana und Moskau. In diesen Jahren intensivierte er seine Reformvorhaben und richtete Dorfschulen nach Rousseauschem Vorbild ein.
    Sein literarisches Schaffen erreichte einen Höhepunkt 1868/69 mit "Krieg und Frieden", 1878 "Anna Karenina" und 1899 "Auferstehung". Vor allem die beiden ersten Romane begründeten Tolstois Weltruhm. In den Jahren 1879-82 sagte er sich endgültig vom Adel los und ging auf die Position der patriarchalischen Bauernschaft über.
    In seinen letzten Lebensjahren genoss Lew Tolstoi weltweite moralische Autorität, was den Heiligen Synod, die oberste Kirchenbehörde Russlands, jedoch nicht daran hinderte, ihn 1901 zu exkommunizieren. Während der Revolution 1905 stellte er sich auf die Seite der russischen Bauernschaft, lehnte aber entsprechend seiner Lehre revolutionäre Gewalt kategorisch ab. Im November 1910 floh er - alt und krank - heimlich aus Jasnaja Poljana. Lew Tolstoi starb 1910 auf der Bahnstation Astapowo.

    Quelle: https://www.perlentaucher.de/autor/leo-n-tolstoi.html


Theodor Fontane
1819 - 1898
  • Er wurde 1819 in Neuruppin als Sohn eines Apothekers geboren, dessen Beruf er 14 Jahre lang ebenfalls ausübte.

    Sein erster Gedichtband erschien 1851, ein Jahr später ging er als Korrespondent der ›Preußischen Zeitung‹ nach London, wo er, angeregt durch schottische Vorbilder, Balladen zu schreiben begann. Erst im Alter entstanden seine großen erzählerischen Werke wie ›Irrungen, Wirrungen‹, ›Effi Briest‹ und ›Der Stechlin‹. Sie machten ihn zu seiner Zeit zum einzigen im Ausland gelesenen deutschen Romancier. Fontane starb 1898 in Berlin.
    Quelle: https://www.diogenes.ch/leser/autoren/f/theodor-fontane.html

    Theodor Fontane

    Das Trauerspiel von Afghanistan
    1859

    Der Schnee leis‘ stäubend vom Himmel fällt,
    Ein Reiter vor Dschellalabad hält,
    »Wer da!« – »Ein britischer Reitersmann,
    Bringe Botschaft aus Afghanistan.«

    Afghanistan! Er sprach es so matt;
    Es umdrängt den Reiter die halbe Stadt,
    Sir Robert Sale, der Kommandant,
    Hebt ihn vom Rosse mit eigener Hand.

    Sie führen ins steinerne Wachthaus ihn,
    Sie setzen ihn nieder an den Kamin,
    Wie wärmt ihn das Feuer, wie labt ihn das Licht,
    Er atmet hoch auf und dankt und spricht:

    »Wir waren dreizehntausend Mann,
    Von Kabul unser Zug begann,
    Soldaten, Führer, Weib und Kind,
    Erstarrt, erschlagen, verraten sind.

    Zersprengt ist unser ganzes Heer,
    Was lebt, irrt draußen in Nacht umher,
    Mir hat ein Gott die Rettung gegönnt,
    Seht zu, ob den Rest ihr retten könnt.«

    Sir Robert stieg auf den Festungswall,
    Offiziere, Soldaten folgten ihm all‘,
    Sir Robert sprach: »Der Schnee fällt dicht,
    Die uns suchen, sie können uns finden nicht.

    Sie irren wie Blinde und sind uns so nah,
    So laßt sie’s hören, daß wir da,
    Stimmt an ein Lied von Heimat und Haus,
    Trompeter blast in die Nacht hinaus!«

    Da huben sie an und sie wurden’s nicht müd‘,
    Durch die Nacht hin klang es Lied um Lied,
    Erst englische Lieder mit fröhlichem Klang,
    Dann Hochlandslieder wie Klagegesang.

    Sie bliesen die Nacht und über den Tag,
    Laut, wie nur die Liebe rufen mag,
    Sie bliesen – es kam die zweite Nacht,
    Umsonst, daß ihr ruft, umsonst, daß ihr wacht.

    »Die hören sollen, sie hören nicht mehr,
    Vernichtet ist das ganze Heer,
    Mit dreizehntausend der Zug begann,
    Einer kam heim aus Afghanistan.«

    Viel weniger bekannt als Fontanes Ballade ist Nina Hagens Vertonung derselben, hier das Live-Video (2001) auf Youtube, eine Entdeckung die ich der lange in Kabul tätigen Germanistin Susan Zerwinski verdanke.
    Quelle: https://thruttig.wordpress.com/2019/04/10/zum-fontane-jahr-nur-einer-kam-heim-aus-afghanistan/


René A. Spitz
1887 - 1974
  • René A. Spitz befasste sich als Erster mit der systematischen Erforschung der Psychologie des Säuglingsalters

    und begründete das interaktionistische Paradigma in der Säuglingsforschung, das die Untersuchung der Sozialbeziehungen des Babys in den Mittelpunkt der Forschung rückt und neben der Untersuchung der kognitiven Entwicklung bis heute die Forschungsbemühungen in diesem Sektor dominiert.

    Er hatte sich mit seinen empirischen Untersuchungen bemüht, die Beziehung zwischen der Persönlichkeit der Mutter und der Entwicklung des Kindes immer genauer zu erfassen. Seine Untersuchungsmethoden waren direkte Beobachtung, Filmaufnahmen, Säuglingstests und die Verbindung von Langzeitstudien und Quervergleichen. Er war damit auch einer der ersten, die systematische und empirische Forschung in der psychoanalytischen Säuglingsforschung betrieben, während zuvor hauptsächlich unsystematische Beobachtungen im Alltag und klinischen Kontext durchgeführt wurden.

    Ausgehend von Kulturvergleichen des frühkindlichen Erlebens untersuchte er die Entwicklung der menschlichen Kommunikation, die Geburt der Sprache und die Entwicklung der Beziehung zwischen Mutter und Kind im ersten Lebensjahr. Die Wechselbeziehung zwischen Mutter und Kind ist für Spitz der Prägestock zur Entwicklung der sozialen Beziehungen. Nach Spitz entwickelt sich die Objektbeziehung im Verlauf des ersten Lebensjahrs. Dabei durchläuft sie drei Stadien. Das Konzept der Organisatoren geht davon aus, dass es in bestimmten Altersabschnitten zu Reifungsprozessen, sprunghaften Veränderungen im kindlichen Organismus kommt, welche sich anhand von affektiven Indikatoren wie dem sozialen Lächeln (2./3. Monat), der Fremdenangst (7./8. Monat) oder der Geste des Nein (15./18. Monat) beobachten lassen.

    Bekannt wurde René Spitz vor allem mit seinen empirischen Untersuchungen der gestörten Mutterbeziehungen des Säuglings bei inkohärenten Stimuli: Aktive und passive Ablehnung des Kindes, Überfürsorglichkeit, abwechselnde Feindseligkeit und Verwöhnung, mit Freundlichkeit verdeckte Ablehnung. Solche Bedrohungen der Beziehung (Objektkonstanz) führen gemäß Spitz je nach Art der gestörten Objektbeziehung zu verschiedenen psychischen und psychosomatischen Störungen beim Kind wie z. B. Säuglingsekzemen, anaklitischer Depression, psychotoxischer Störung oder gar Hospitalismus.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Ren%C3%A9_A._Spitz


John Bowlby
1907 - 1990
Mary Ainsworth
1913 - 1999
Harry Stack Sullivan
1892 - 1949
Frieda Fromm-Reichmann
1889 - 1957
Frieda Fromm-Reichmann
  • Sie gehört zur Generation der Neo-Psychoanalytikerinnen, die eine neue Sichtweise auf psychotisch erkrankte Menschen entwickelten und deren Hauptleistungen in der tiefenpsychologischen Behandlung der Schizophrenie liegen.

    Am 23. Oktober 1889 wird Frieda Reichmann im ostpreußischen Königsberg geboren. 1914 schließt sie dort ihr Medizinstudium ab. Anfang der 20er-Jahre lernt Reichmann die Psychoanalyse kennen und macht sie zum geistigen Mittelpunkt ihres Lebens. Die enge Zusammenarbeit mit dem elf Jahre jüngeren Erich Fromm mündet 1926 in eine Ehe. Die beiden gründen den Südwestdeutschen Studienkreis für Psychoanalyse, künftig das Zentrum für analytische Theorie und Praxis im süddeutschen Raum.

    Zwar wird die Ehe nach fünf Jahren wieder gelöst, doch Zusammenarbeit und Gedankenaustausch bestehen weiter. Auch Fromm wird später Mitglied der Washington School of Psychiatry und veröffentlicht in Harry Stack Sullivans Zeitschrift „Psychiatry“.

    Nachdem die Nationalsozialisten die Macht ergriffen haben, geht die Jüdin Fromm-Reichmann zunächst ins Elsaß, dann nach Palästina; 1935 emigriert sie in die USA, wo sie eine zweite Heimat findet.

    Seit den 20er-Jahren setzt sich hier zunehmend die Vorstellung des Schweizer Psychiaters Adolf Meyer von der Schizophrenie durch: Fernab jeder „Hirn- und Stoffwechselmythologie“ sieht Meyer im Schizophrenen einen Menschen, der entscheidende „Lebenstechniken“ nicht gelernt habe. Sein Zusammenbruch erfolge, wenn er Belastungen ausgesetzt sei, denen er sich nicht gewachsen fühle. Therapie muss laut Meyer demnach in einem Wiederaufbau der sozialen Anpassungs- und Leistungsfähigkeit bestehen.

    In Chestnut Lodge, Maryland, trifft Fromm-Reichmann auf eine Gruppe von Analytikern, die bereit sind, ins Neuland der Psychosebehandlung vorzustoßen. Handlungsleitend ist dabei die Vorstellung, durch ein besseres Verständnis der Frühsozialisation Wahnkranke heilen zu können.

    Pionier auf diesem Gebiet ist Harry Stack Sullivan, Neopsychoanalytiker der Chicagoer Sociological School. Ihm zufolge gehen sowohl Psychose als auch Neurose auf Lebenserfahrungen zurück; die Übergänge zwischen beiden Störungen sind fließend. In der Behandlung geht es darum, erlernte Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster durch „teilnehmende Beobachtung“ kennenzulernen. Treffende Deutungen und eine positive Beziehung zum Kranken könnten dessen negative Sozialbeziehungen langsam korrigieren.

    Fromm-Reichmann lernt von Freud und Sullivan. Melanie Kleins Auffassung von der Psychosebehandlung ergänzt sie, indem sie Gefühl und Affekt bei der Deutung hervorhebt. Denn ihr zufolge wehren schizophrene Patienten vor allem in der Kindheit erlebte große Angst ab. Die von ihr sogenannte analytisch orientierte Psychotherapie von Psychosen stellt hohe Anforderungen an Patienten und Therapeuten. Neben analytischen Kenntnissen müssen die Therapeuten ein erhebliches Maß an Geduld mitbringen, dauert eine solche Behandlung in der Regel doch einige Jahre. Heilung heißt dabei nicht, den Patienten an die konventionelle Welt anzupassen.

    Fromm-Reichmann formuliert das Therapieziel so: „Der Therapeut soll wissen, dass seine Rolle zu Ende ist, wenn diese Menschen imstande sind, selbst – ohne Verletzung ihrer Mitmenschen – ihre eigenen Quellen der Befriedigung und Sicherheit zu finden, unabhängig von der Zustimmung ihrer Nachbarn, ihrer Familie und der öffentlichen Meinung. (. . .)

    Als „Director of Psychotherapy“ an der Klinik in Chestnut Lodge widmete Fromm-Reichmann sich in erster Linie der Schizophreniebehandlung; doch ihr zufolge sind psychogenetische Aspekte auch auf Patienten mit affektiven Pychosen anwendbar. Mit Geduld, Güte, Einfühlungsvermögen und schlichter Menschlichkeit brachte sie psychotisch Erkrankte, die sich längst von ihren Mitmenschen abgewendet hatten, dazu, sich ihr gegenüber zu öffnen.

    Das Buch „Ich hab dir nie einen Rosengarten versprochen“ legt davon Zeugnis ab. Unter dem Pseudonym Hannah Green beschreibt die Autorin ihre Erlebnisse in Chestnut Lodge und setzt ihrer Therapeutin ein eindruckvolles Denkmal. Am 28. April 1957 ist Frieda Fromm-Reichmann in Chestnut Lodge gestorben.
    Christof Goddemeier

    Quelle: http://www.aerzteblatt.de/archiv/55195/Frieda-Fromm-Reichmann-Tiefenpsychologische-Behandlung-der-Schizophrenie


Richard Leakey & Roger Lewin
*1944 / *1944
Friedrich Liebling
1893 - 1982
Friedrich Liebling
Alfred Adler
1870 - 1937
Johannes Kepler
1571-1630
  • Er war einer der bedeutendsten Astronomen der frühen Neuzeit und entdeckte die nach ihm benannten drei Gesetze der Planetenbewegung, die keplerschen Gesetze. Damit gehört er neben NIKOLAUS KOPERNIKUS, GALILEO GALILEI und ISAAC NEWTON zu den Wegbereitern eines neuen wissenschaftlichen Weltbildes, mit dem religiöse Auffassungen überwunden und naturwissenschaftliche Erkenntnisse Grundlage der Vorstellungen wurden.

    JOHANNES KEPLER lebte in einer Zeit beginnender wissenschaftlicher Umbrüche. In der frühen Neuzeit, in der er lebte, hatte NIKOLAUS KOPERNIKUS (1473–1543) seine Vorstellungen zum heliozentrischen Weltbild entwickelt. Mikroskop und Fernrohr wurden erfunden. GALILEO GALILEI (1564–1642) entdeckte die vier nach ihm benannten Jupitermonde, der Astronom TYCHO BRAHE (1546–1601) führte zahlreiche Sternbeobachtungen durch. Heftige Auseinandersetzungen gab es um das heliozentrische Weltbild. Diese Auseinandersetzungen führten 1600 zur Verbrennung von GIORDANO BRUNO in Rom und zum Inquisitionsverfahren gegen GALILEO GALILEI.

    In der Zeit, in der KEPLER lebte, wurde in England die Ex-Königin MARIA STUART hingerichtet (1587), die spanische Armada scheiterte bei ihrem Vorstoß gegen England (1588), der Prager Fenstersturz (1618) löste in Böhmen einen Aufstand aus, der Dreißigjährige Krieg begann. In der Kunst und Musik wirkten Personen wie der Dichter W. SHAKESPEARE, der Baumeister L. BERNINI (Gestaltung des Petersdomes Rom), der Maler RUBENS und der Komponist MONTEVERDI.

    Leben und Wirken

    JOHANNES KEPLER wurde am 27. Dezember 1571 in Weil, einer kleinen Stadt in Württemberg, geboren. Sein Vater kümmerte sich kaum um ihn. Er war in dieser unruhigen Zeit jahrelang mit Landsknechtsheeren unterwegs. Bekannt ist aus der Kindheit nur, dass KEPLER als armer Stipendiat das Gymnasium in Maulbronn besuchte und anschließend an der württembergischen Landesuniversität in Tübingen studierte. Hier beschäftigte sich KEPLER mit lutherischer Theologie, Mathematik und Astronomie. Hier lernte er auch die Lehre des KOPERNIKUS kennen und wurde schnell zu einem Anhänger dieser Lehre, die in dieser Zeit keineswegs allgemein anerkannt war. Insbesondere wurde sie von der Kirche scharf angegriffen, weil sie kirchlichen Dogmen von der Zentralstellung der Erde widersprach.

    Noch vor Abschluss seiner theologischen Studien wurde KEPLER nach Graz geschickt, um dort als protestantische Lehrkraft zu wirken. So wurde er 1594 „Lehrer der Mathematik und Moral“ am Gymnasium in Graz und zugleich Mathematiker der neuen protestantischen Landesregierung. Damit hatte er die Pflicht, jährlich einen amtlichen Kalender auszuarbeiten, der auch astronomische Angaben über Sonne, Mond, Planeten und den Tierkreis, den voraussichtlichen Witterungsablauf und zu erwartende besondere Ereignisse enthielt. Diese Aufgabe, die auch astronomische Berechnungen erforderte, hat KEPLER nach eigenen Aussagen endgültig zur Astronomie und Mathematik hingeführt.

    1599 wurde die Steiermark wieder katholisch und KEPLER musste sich nach einer neuen Beschäftigung umsehen. Er fand sie in Prag bei dem berühmten Astronomen TYCHO BRAHE (1546–1601), dessen Mitarbeiter er wurde.

    Nach dem Tod von BRAHE war KEPLER als Hofastronom von Kaiser RUDOLF II. in Prag tätig und führte grundlegende Untersuchungen zu Planetenbewegungen durch.

    Der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges 1618 hat Leben und Arbeit von JOHANNES KEPLER wesentlich beeinflusst. So musste er zweimal lange Reisen in seine Heimatstadt antreten, um seine von den Protestanten als Hexe angeklagte Mutter vor Folter und Feuertod zu retten.

    1628 trat KEPLER in die Dienste des kaiserlichen Feldherrn WALLENSTEIN, der ihm als Herzog von Mecklenburg eine Professur an der Universität in Rostock in Aussicht stellte. Ehe er sie antrat, machte er sich auf eine weite Reihe nach Regensburg, wo der Reichstag versammelt war und er wegen ausstehender Gehälter vorstellig werden wollte. Geschwächt durch die Reise, starb JOHANNES KEPLER wenige Tage nach seiner Ankunft im Alter von 59 Jahren in Regensburg.

    Seine wissenschaftlichen Leistungen

    Bereits 1594 entstand KEPLERs erstes astronomisches Werk, das unter dem Titel „Mysterium cosmographicum“ (Geheimnis der Weltbeschreibung) herausgegeben wurde. In diesem recht spekulativem Werk werden die geometrischen Eigenschaften regulärer Körper mit den Abständen der Planetenbahnen in Verbindung gebracht und daraus der „göttliche Bauplan des Universums“ entwickelt.

    Bei BRAHE beschäftigte sich KEPLER intensiv mit der Berechung von Planetenbahnen, insbesondere der Berechnung der Marsbahn. Vor allem ging es darum, die Beobachtungsdaten BRAHEs mit den Berechnungen in Übereinstimmung zu bringen. Im Ergebnis seiner mehrjährigen Arbeiten erschien 1609 ein Werk unter dem Titel „Astronomia nova“ (Die neue Astronomie). In diesem Werk ist die bedeutendste wissenschaftliche Leistung KEPLERs dargestellt: Es sind dort die ersten beiden Gesetze der Planetenbewegung formuliert, die wir heute als 1. und 2. keplersches Gesetz kennen. Der Inhalt der Gesetze ist unter dem Stichwort „Keplersche Gesetze“ ausführlich dargestellt. Während KEPLER in frühen Werken als Ursache der Planetenbewegung himmlische Intelligenzen oder Seelenkräfte annahm, geht er jetzt von magnetischen Kräften aus, die die Sonne ausüben soll. So schreibt er:

    „Wenn man anstatt Seele (anima) das Wort Kraft (vis) setzt, hat man genau das Prinzip, worauf die Physik des Himmels ... aufgebaut ist“.

    Neben Untersuchungen zu Planeten beschäftigte sich KEPLER auch mit astronomischen Instrumenten. So entwickelte er ein verbessertes Fernrohr mit zwei Sammellinsen, das wir heute als keplersches Fernrohr kennen.

    1619 erschien das Werk „Die Weltharmonien“, in dem das 3. keplersche Gesetz formuliert war. Um seine grundlegenden Entdeckungen für die Astronomen nutzbar zu machen, widmete sich KEPLER in seinen letzten Lebensjahren der Aufgabe, neue astronomische Tafeln zu berechnen. Der letzte Band der nach seinem Förderer RUDOLF II. benannten „Rudolfinischen Tafeln“ erschien in seinem Todesjahr.

    Von den Gesetzen der Planetenbewegung bis zur Begründung der Himmelsmechanik war es noch ein weiter Weg. Die Entdeckungen KEPLERs wurden von der Mehrheit seiner Fachkollegen keineswegs sofort anerkannt, sondern häufig nur als Hypothesen angesehen. So hat z. B. GALILEI, der die keplerschen Gesetze kannte, diese mit keinem Wort erwähnt. Entscheidende Schritte der Begründung der keplerschen Gesetze ging erst NEWTON (1643–1727) mit der Entdeckung des Gravitationsgesetzes.

    Berechnung der Marsbahn Tycho Brahe Biographie Jupitermonde keplersche Gesetze keplersches Fernrohr Himmelsmechanik Hofastronom Johannes Kepler heliozentrisches Weltbild Planetenbewegungen Wallenstein Gesetze der Planetenbewegung Rudulfinische Tafeln Rudolf II. Newton Giordano Bruno Biografie

    Stand: 2010
    Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

    Quelle: https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/geschichte/artikel/johannes-kepler#


Ernst Haeckel
1834 - 1919
Friedrich Fröbel
1782 - 1852
  • Er gehört zu den großen deutschen Reformpädagogen. Er ist der Begründer des Kindergartens. Sein damit verbundenes Konzept der Frühkindlichen Bildung und seine Pädagogik sind zukunftsweisend.

    Zum Bildungskonzept von Friedrich Fröbel gehören die von ihm eigens entwickelten und didaktisch ausgearbeiteten Spielgaben. Es sind Spielmaterialien mit einem durchgängigen ganzheitlichen, mathematisch-naturwissenschaftlichen und ästhetischen  Konzept für Kinder vom Säuglings- bis zum Schulkindalter.

    Zu seinem Konzept  gehören außerdem Fingerspiele und Lieder, die Fröbel geschrieben und u.a. im Buch "Mutter- und Koselieder" veröffentlicht hat. Das Buch war illustriert und als Bilderbuch für die Kinder sowie gleichzeitig als Spielanleitung für die Mütter gedacht.

    Fröbel - Friedrich Fröbel - Froebel - Begründer vom Kindergarten - Erfinder der Spielgaben

    In seinem Hauptwerk "Die Menschenerziehung" hat Friedrich Fröbel sein Menschenbild beschrieben und seine Pädagogik daraus abgeleitet.   

    Seine Wortschöpfung "Kindergarten" ist im Ausland in annähernd 50 Sprachen unübersetzt in den allgemeinen Sprachgebrauch übernommen worden. Vor allem in Japan und den USA ist  Fröbels Pädagogik sehr gefragt.

    In Deutschland ist Fröbels Konzept weitgehend in Vergessenheit geraten. Fröbel ist zwar bekannt als der Begründer des Kindergartens oder der Erfinder der Spielgaben. Sein umfassendes Konzept aber, das er seiner Pädagogik zugrundegelegt hat, ist kaum bekannt und auch noch nicht ganz erschlossen. Deswegen spielt Fröbel, heute nur noch in wenigen Kindergartenkonzeptionen  wirklich eine tragende Rolle. Und das völlig zu unrecht. 

    Maria Montessori baut in ihrer Konzeption inhaltlich in vielerlei Hinsicht auf Fröbels Theorien auf. Sein -  auch im Vergleich zu Montessori - sehr geringer Bekanntheitsgrad in Deutschland ist jedenfalls nicht durch eine weniger umfassende Konzeption seiner Pädagogik oder gar deren Unzeitgemäßheit zu erklären.      

    Quelle: https://www.friedrich-froebel-online.de/


August Aichhorn
1878 - 1949
  • Sein Buch „Verwahrloste Jugend" (1925) wurde in alle Weltsprachen übersetzt.

    August Aichhorn war zunächst Volksschullehrer in Wien. Nach dem Ersten Weltkrieg erprobte er moderne Pädagogik in den Anstalten Ober-Hollabrunn und St. Andrä an der Traisen (1918–1922). Er stellte dort unter Beweis, dass Zwangserziehung in „Besserungsanstalten“ keine positiven Erfolge brachte. Die Aggression bei Jugendlichen begründete Aichhorn mit einem Liebesdefizit. Er hatte die Idee eines „positiven Kinderheimes“, verwahrlosten Jugendlichen begegnete er mit Liebe, Aufmerksamkeit und echtem Interesse. Aichhorn wurde amtlicher Leiter der Wiener städtischen Fürsorgeanstalten, später Leiter der Wiener Psychoanalytischen Erziehungsberatung, in der Kriegszeit Lehranalytiker für Ärzte und Psychologen, dann Professor in Wien und Vorstand der Wiener Psychoanalytischen Institute. Er teilte Anna Freuds Ansicht, dass Familienerziehung der institutionalisierten Heimerziehung überlegen ist.

    Er gilt als Gründer der psychoanalytischen Pädagogik und auf ihn berufen sich zahlreiche international namhafte Pädagogen (Homer Lane, Alexander Neill).

    Im Laufe des Jahres 1932 wurde August Aichhorn zusammen mit Hans Zulliger in den Kreis der Herausgeber der Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik aufgenommen.[1]


Henry F. Ellenberger
1905 - 1993
  • «Die Entdeckung des Unbewußten» ist eines der bedeutsamsten Werke über die Geschichte und die Entwicklung der Psychotherapie.

    Es stellt den Kern des Lebenswerkes des Autors dar, des Psychiaters Henri Ellenberger, der nichts Geringeres auf sich nimmt als die gelungene Beschreibung der dynamischen Psychotherapie, die ihren Ursprung im Altertum nimmt und sich bis zum 2. Weltkrieg erstreckt. So spannt sich der Bogen über stammesmedizinische Verfahren bis hin zur durchdachten Systematik und deren Kontroversen des 20. Jahrhunderts.

    Sein Standardwerk – und, das ist ungewöhnlich, ist ein dazu sehr lesbares und spannendes. Henri F. Ellenberger begnügt sich nicht mit der Darstellung der Lehrsysteme, deren Entwicklung und der Lebensgeschichte der betreffenden Forscher. Durch Betrachtungen über die sozioökonomischen, politischen und kulturellen Faktoren gibt er jeweils ein plastisches Bild von dem Milieu und den Zeitumständen, die die Persönlichkeit der Forscher und ihre Lehren mitgestaltet haben.

    "Beispielhaft in seiner Belesenheit und Klarheit." (Le Monde)
    "Das Buch ist eine erstaunliche, imponierende und faszinierende Arbeit. In über zwölfjähriger Forscherarbeit ist ein monumentales geistesgeschichtliches Werk entstanden, das den ganzen Stammbaum der modernen Psychiatrie und Tiefenpsychologie bis in kleinste Verästelungen klar geordnet und zusammenhängend darstellt." (Psychologische Beiträge)
    "Die grundlegende, fesselnd geschriebene Darstellung Ellenbergers geht vornehmlich auf die historischen Tatsachen mit Einschluss politischer Ereignisse ein, womit sein Werk über den eng begrenzten Kreis von Fachleuten hinaus wirken kann." (Österreichische Nachrichten)

    Henri F. Ellenberger, geboren am 6.11.1905 in Nalolo, Rhodesien, Dr. med., hat über hundert Artikel auf dem Gebiet der Psychiatrie, Psychologie und der Geschichte der Medizin verfasst und war Mitherausgeber von ›Existence‹, erschienen bei Basic Books Inc., Publishers, New York. Er war Professor für Psychiatrie an der Menninger School of Psychiatry und an der McGill University, Titularprofessor für Kriminologie an der University of Montreal und Berater am Philippe Pinel Institute in Montreal. Er starb am 1.5.1993 in Montreal.


Jean Meslier
1664 - 1729
  • Der »Atheist im Priesterrock«. Bereits während seiner früheren Beschäftigung mit Voltaire war der saarländische Autor Klaus Bernarding auf einen Namen gestoßen, der ihn Jahre danach, als er sich vor allem mit den sozialen Problemen des 18. Jahrhunderts befasste, aufhorchen ließ: Jean-Baptiste Meslier (1664 - 1729), seines Zeichens katholischer Priester, der sich selbst aber als »Atheist« bezeichnete.

    Obwohl er den Gottesdienst, wie andere Geistliche auch, vollzieht, also nach außen hin die Religion der römisch-katholischen Kirche anerkennt, distanziert er sich im Innern jedoch in absoluter Weise von diesem Gott. Mehr noch: Jede Religion auf der Welt hält er für schädlich und damit verdammenswert.
    In seinem letzten Lebensjahrzehnt beginnt er seine »Mémoire des pensées et sentiments« zu verfassen, sein zum Schluss mehr als tausendseitiges »Testament«, in dem er mit dem Christentum, der Kirche und der Religion radikal abrechnet. Natürlich im Geheimen, denn solcher Frevel ist damals lebensgefährlich.
    Heute zählt Jean Meslier in Frankreich zu den frühen Aufklärern und gilt als einer der ersten Vertreter eines grundlegenden Atheismus.
    Der Schauspieler, Kabarettist und Regisseur Peter Tiefenbrunner hat aus Texten Mesliers ein Hörbuch produziert, das diesen frühen Vordenker sozialistischer Ideen erstmals einem breiteren deutschen Publikum vorstellt.

    Quelle: https://www.rosalux.de/en/event/es_detail/JVC4Q/jean-meslier?cHash=4e16ece56460f63e618af3028fc1d0ba

    Dr. Christian Köllerers Notizen über den grossen Religionskritiker

    Eine meiner größten Buchentdeckungen der letzten Jahre ist das furiose Testament des Jean Meslier. Zwar kannte ich ihn dem Namen nach schon seit meiner Studienzeit als Vertreter der französischen Frühaufklärung, zu einer näheren Beschäftigung mit ihm inspirierten mich aber erst Philipp Bloms Böse Philosophen.

    Die erste Überraschung: Eine der brillantesten Religionskritiken der Geistesgeschichte wurde von einem Pfarrer geschrieben! Welche großartige Ironie! 1664 geboren schlug Meslier eine klassische klerikale Karriere ein. Obwohl er von seinem Bischof mehrmals wegen Aufsässigkeiten bestraft wurde, übte er Zeit seines Lebens brav sein Amt aus. So nachlässig wie möglich, wie er in seinen ketzerischen Memoiren betont. Er ist ein brillanter Kopf und durchschaut das Kirchen- und Adelswesen, welches die Armen in Frankreich gemeinsam unter der Knute hält. Ab 1719 setzt er sich bis zu seinem Tode 1729 fast jeden Abend hin und schreibt sein Memoir of the Thoughts and Sentiments of Jean Meslier nieder. Das Ergebnis ist ein hochgradig intelligenter und origineller Text, wie ihn die Geistesgeschichte bis dahin noch nicht kannte. Ein Geistesverwandter war Montaigne, dessen Essais er oft zitiert und dessen Art des Schreibens und Denkens ihn sehr beeinflusste.

    Das Faszinierende an dem knapp sechshundert Seiten langen Buch ist seine Vielfalt: Scharfsinnige philosophische Argumente wechseln sich mit furioser Polemik ab. Das Tempo variiert. Man spürt in jeder Zeile die Empörung des Jean Meslier über die argen Zustände in der Welt. Trotz dieses Ärgers ist sein Denken scharf wie ein Rasiermesser. Das Testament ist eine Enzyklopädie der Religionskritik. Alle bis heute gültigen Argumente gegen Religion im allgemeinen sowie gegen das Christentum im speziellen werden mustergültig dargelegt: Die zahllosen textimmanenten Widersprüche in der Bibel und die gescheiterten Versuche der Theologen, diese weg zu interpretieren. Die zahlreichen schamlosen Übernahmen des Christentums aus anderen Religionen und das Abstreiten dieser Diebstähle. Die abstrusen Dogmen. Die verlogene Ethik. Die unzähligen Widersprüche zwischen Theorie und Praxis.

    Jean Meslier verwendet in erster Linie simple Logik zur Entlarvung. Dabei argumentiert er, trotz seiner Wut, mit einer intellektuellen Sorgfalt, die bewundernswürdig ist. Viele seiner Argumente setzen von innen an: Er greift religiöse Behauptungen auf und widerlegt sie intrinsisch. Er baut kein atheistisches Kartenhaus daneben auf, sondern zieht solange die Karten aus dem religiösen Kartenhaus, bis es zusammenstürzt. Ein weitere Strategie ist eine historische: Er stellt das Christentum in den geschichtlichen Kontext mit anderen Religionen und geschichtlichen Entwicklungen. Schließlich zeigt er immer wieder überzeugend auf, welchen wahren Interessen die Religion dient und wie diese zur Machterhaltung von Monarchen und Tyrannen systematisch verwendet wird.

    Das Testament ist sorgfältig systematisch aufgebaut. Meslier beginnt mit seiner grundsätzlichen Hypothese:

    All religions are nothing but errors, illusion, and imposture.
    [Kapitel 3]

    Das insgesamt 97 Kapitel umfassende Buch besteht nun aus acht Beweisen, die Meslier in extenso ausführt. Er fängt immer allgemein mit einer These an und belegt diese dann, in dem er in den Folgekapiteln immer mehr ins Detail geht. Seine acht „Beweise“ sind:

    First Proof: Of the vanity and falsity of religions, which are all human inventions.

    Second Proof: Of the vanity and falsity of said religion: Faith, which is blind belief that serves as the foundation of all religions, is only a principle of errors, illusions and impostures.

    Third Proof: Of the vanity and falsity of religion, drawn from the vanity and falsity of the so-called visions and divine revelations.

    Fourth Proof: Of the vanity and falsity of said religion, drawn from the vanity and falsity of the so-called prophecies of the Old Testament.

    Fifth Proof: Of the vanity and falsity of the Christian religion drawn from the errors of its doctrine and morality.

    Sixth Proof: Of the vanity and falsity of the Christian religion, taken from the abuse, the unjust persecutions, and the tyranny of the rulers, which it tolerates or authorizes.

    Seventh Proof: Of the vanity and falsity of religions taken from the falsity of the opinion of men concerning the so-called existence of gods.

    Eighth Proof: Of the vanity and falsity of religions taken from the men’s opinion about the spirituality and immortality of their souls.

    Das Ergebnis ist eine umfassende Entlarvung der Religion an sich und gleichzeitig ein gewaltiges Plädoyer für Humanität, Aufklärung und Vernunft. Kein Wunder also, dass die Kirche das Buch mit aller Macht verfolgte. Voltaire gab eine auf seine Auffassungen hin völlig verfälschte Kurzausgabe heraus. Ansonsten zirkulierte das Testament lange in Form illegaler Kopien. So manche Aufklärer bedienten sich großzügig aus seinem intellektuellen Fundus, ohne Quellenangabe versteht sich. Erst 1864 erschien eine vollständige Ausgabe, herausgegeben von Rudolf Charles. Ich las die 2009 bei Prometheus Books erschienene, erste vollständige Übersetzung ins Englische. Es gab in den letzten vierzig Jahren zwei deutschsprachige Ausgaben, die aber nur noch sehr teuer antiquarisch zu bekommen sind. Eine Neuauflage wäre dringend überfällig!

    Jean Meslier zählt zu den größten Aufklärern der abendländischen Geschichte. Bevor Kant noch geboren war lebte er dessen Maxime „Sapere aude!“ allein und einsam in der französischen Provinz und schrieb eines der fulminantesten Enthüllungsbücher der Geistesgeschichte.

    Doch ich lasse ihn das Testament am besten mit seinen eigenen Worten zusammenfassen. Gegen Mesliers Aufruf zur Empörung im letzten Kapitel seines Buches, zitiert ist nur der Anfang, wirkt das Pamphlet des Stéphan Hessel wie der Text eines schüchternen Schulbuben:

    All these arguments are as conclusive as they can be: it is enough to pay just a little attention to see the evidence. And so it cleary demonstrated, by all these arguments I have put forth above, that all religions of the world are, as I said at the beginning of this writing, only human inventions, and that everything they teach us or make us believe are only errors, illusions, lies, and impostures invented by scoffers, swindlers, and hypocrites to deceive men, or by shrewd and crafty politicians to hold men in check and do whatever they want to the ignorant people (who blindly and foolishly believe everything they are told comes from God) and claim that it is useful and expedient to make men believe in the same thing, on the pretext, as they say, that is „necessary that the common man not know very many truths and that he believe in many falsehoods.
    And since these kind of errors, illusions, and impostures are the source and cause of countless evils, abuses, and viciousness in the world, and that even the tyranny, which makes so many people groan on the earth, also tries hard to hide itself under this attractive but false and detestable pretext of religion, I am very right to say that this hodgepodge of religion and political laws, such as there are at present, were in fact only mysteries of iniquity.
    [Kapitel 96]

    Jean Meslier: Testament. Memoirs of the Thoughts and Sentiments of Jean Meslier (Prometheus Books)
    [Die am besten zugängliche und lieferbare Ausgabe]

    Jean Meslier: Das Testament des Abbé Meslier (Suhrkamp 1976)
    [Hochpreisig antiquarisch zu bekommen]

    Jean Meslier: Das Testament des Abbé Meslier. Herausgegeben von Hartmut Kraus (Hintergrund)
    [Lizenzausgabe der Suhrkamp-Ausgabe durch einen Kleinverlag]

    ___

    Erster Kommentar von Carsten Herrmann

    15. September 2012 um 14:31 Antworten

    Wenn man Meslier oder den ebenso empfehlenswerten Holbach gelesen hat, und danach zu gläubigen Theologen zurückkehrt – gerade auch zu neueren und neuesten, die zwar eigentlich Bescheid wissen, aber sich in den bizarrsten Verrenkungen ergehen, um so zu tun, als ob – dann kann man manchmal schon meinen, einen „Chor von hunderttausend Narren“ zu hören.
    Mesliers Stil mag mitunter etwas schwerfällig sein, laut Voltaire „der eines Karrengauls, der aber treffend ausschlagen kann“. Er hat dabei etwas von der Wucht und dem heiligen Zorn eines alttestamentarischen Propheten, mit umgekehrtem Vorzeichen. Dass Voltaire eleganter schreiben konnte, rechtfertigt nicht die Fälschung seiner Edition. Darin hat er eben nicht nur „das Gift des Atheismus“ weggelassen, was damals vielleicht noch angegangen wäre, sondern obendrein dem Autor ein deistisches Schlusswort untergeschoben, das sogar heutzutage noch manche Leser über Mesliers Kompromisslosigkeit hinwegtäuscht. Dagegen helfen nur unzensierte Ausgaben.
    Der Prometheus-Verlag hat ein löbliches Programm. Mir ist jedoch aufgefallen, dass, wenn man zu den beiden Genannten, was die Bibelkritik angeht, noch Reimarus und David Friedrich Strauß hinzuzieht, in Hinblick auf das Bedürfnis nach Religion überhaupt Ludwig Feuerbach, Sigmund Freud sowie einige seiner Schüler, insbesondere Leo Kaplan, in derzeitigen Veröffentlichungen kaum noch etwas wesentlich Neues hinzugekommen ist. Zwar haben Paläontologie, Biologie und Astronomie weitere Erkenntnisse gewonnen, die den Gottesglauben nicht gerade unterstützen – auch wenn man das von interessierter Seite nicht wahrhaben will. Offenbar brauchen viele Leute dennoch die Vorstellung eines weißbärtigen Herrn nebst eingeborenem Sohn und Heiligem Geist, um im christlichen Bereich zu bleiben, die ihnen vom „Himmel“ aus ständig zugucken und alles wohlwollend ordnen – obwohl das mit dem Wohlwollen nicht immer so offensichtlich ist. Doch kann man den Gläubigen ihren Trost ja gönnen, solange sie keinen mehr verbrennen wollen, der anderer Ansicht ist.

    Zweiter Kommentar von Carsten Herrmann

    23. Februar 2013 um 14:12 Antworten

    Ich kenne weder die deutsche noch die englische Übersetzung. Dem Original ist ein gewisses rustikales Flair nicht abzusprechen. Als Broterwerb hatte Meslier ja einer Landgemeinde zu predigen, was auch seine gelegentliche Weitschweifigkeit erklären mag. Die deutsche Ausgabe soll daher gekürzt sein. Andererseits sollte es von einem so bedeutenden Werk eine vollständige Übersetzung geben. Selbst falls in der vorhandenen nur Wiederholungen weggelassen sind, kann der Autor sich bei denen etwas gedacht haben, vielleicht mit Jean Bottéro, „qu’après tout la répétition est le nerf de l’enseignement“. Dass sein Stil jedoch ebenso von prägnanter Schärfe sein kann, zeigt der oben zitierte Absatz zur Genüge.

    Übrigens halte ich es für verfehlt, ihm vorzuwerfen, dass er trotz seinem Unglauben Pfarrer war und blieb. Allem Anschein nach war er weder geschäftstüchtig noch eine Abenteurernatur, und Brillengläser schleifen, wie Spinoza, konnte er vermutlich auch nicht. Die Buchveröffentlichung wäre nirgendwo möglich gewesen, nicht einmal in den Niederlanden. So hatte er immerhin Zeit und Ruhe zum Schreiben. Und seinen Schäflein wird er nicht geschadet haben, da die Kirche auch von sündigen Priestern gespendete Sakramente als gültig erachtet.

    Besonders bemerkenswert an Meslier ist, dass er den Nazarener selbst unverblümt missbilligt. Denn der steht noch heutzutage bei wohl den meisten Kirchenkritikern und manchen Religionskritikern als weiser Lehrer unter Denkmalschutz. Die Leute können es eben nicht lassen, sich an der Bergpredigt zu berauschen. Dennoch würden sie wahrscheinlich, wenn ihnen jemand, was Gott verhüten möge, ihr gepflegtes Kraftfahrzeug oder sogar, horribile dictu, das neueste Smartphone entwendet hätte, Anzeige erstatten, entgegen der ausdrücklichen Anweisung in Lukas 6,30. Zudem ist eher nicht anzunehmen, dass sie ihre diversen Versicherungsverträge kündigen oder erst gar keine abschließen, obwohl die vorbildlichen Vögel unter dem Himmel und Lilien auf dem Felde zweifellos keine solchen besitzen: Matthäus 6,26 ff.

    Kommentar von Joseph v. Westphalen

    10. April 2015 um 6:32 Antworten

    Die drei Bände kann man bequem und gratis als PDF-Dateien z. B. von der Seite der Münchner Staatsbibliothek herunterladen. Müsste auch funktionieren, wenn man da nicht angemeldet ist: Nach „München Staatsbibliothek“ googeln oder gleich:

    https://www.bsb-muenchen.de/literatursuche/alle-fachgebiete-kataloge-und-datenbanken/opacplus/

    ins Suchfenster „Meslier“ eingeben – und schon kommen auf der ersten Trefferseite die drei Originalbände. Auf den ersten klicken:

    https://opacplus.bsb-muenchen.de/metaopac/singleHit.do?methodToCall=showHit&curPos=4&identifier=100_SOLR_SERVER_518762965

    dann auf „online lesen“. Genau das, online lesen, kann man dann – und wenn man auf „PDF-Download“ klickt und anschließend private Nutzung bestätigt und die Zahl eingibt, die man sieht, kommt ein Fenster, wo angezeigt wird, was man haben will

    Meslier, Jean:
    Le testament
    Amsterdam 1864

    Man muss dann fast eine Minute warten, in der scheinbar nichts geschieht. Der Download wird vorbereitet. Dann erscheint die Zeile

    > PDF-Datei öffnen oder herunterladen (119 MB)

    Die ist anklickbar. Bei einer halbwegs schnellen Internetverbindung ist der erste Band in ein, zwei Minuten da. Das speichern und schon ist er auf der Festplatte, und man kann prüfen, ob das Französisch des Herrn Meslier wirklich so karrengaulmässig derb ist wie Voltaire behauptet. Ich finde übrigens die deutsche Übersetzungen (von 1976) nicht so schlecht. Voltaires abgemilderte Meslier-Kompilation von ca. 1760 (in der dann natürlich nicht zu lesen ist, dass man die Adeligen an der Gedärmen der Priester aufhängen oder besser: sie damit strangulieren sollte) findet sich auch als PDF-Datei auf der StaBi-OPAC-Seite – bequemer lesbar allerdings als erfasster Volltext über Meslier Wilkisource.
    Viel Glück und Spaß mit dem Erleuchteten, der angeblich so redundant schreibt. Man kriegt die Aufklärer nicht so nachgeschmissen wie die Bibel oder den Koran, aber man muss kein Geld dafür ausgeben. Die Bibel, finde ich übrigens, ist sehr viel reduntanter als Meslier. Die ehrenwerte deutsche Übersetzung des Voltaireschen Meslier von 1857 ist auch einseh- und downloadbar, man muss nach „Der gesunde Menschenverstand von Pfarrer Jean Meslier laut seinem Testament“ googeln, dann wird man auf die ehrenwerte Herrn namens Samuel Ludvigh stoßen, der das nicht nur selbst übersetzt sondern auch selbst verlegt hat – in Baltimore
    Gruß
    Joseph v. Westphalen,

    der hiermit fast 300 Jahre nach dem Tod des tollen Jean Meslier hoffentlich ein wenig für seine Verbreitung beigetragen hat

    Quelle: https://www.koellerer.net/2012/02/05/der-grosse-religionskritiker-jean-meslier/


Paul Henri Thiry d'Holbach
1723 - 1789
  • Holbach vertritt schon sehr früh religionskritische und materialistische Thesen in der französischen Aufklärung. Sein Anliegen war das Aufzeigen der Irrtümer der Metaphysik, die nach seiner Ansicht den Menschen den Zugang zu wirklichen Erkenntnissen verstellt.

    Seine Werke richten sich konsequent gegen alle Arten der Religionen und deren Absolutheitsanspruch in moralischen Fragen. An Stelle einer geoffenbarten Ethik fordert er eine, die sich an der gesellschaftlichen Nützlichkeit orientiert und empirisch überprüfbar ist.

    Er arbeitete an der von Denis Diderot und Jean Baptiste le Rond d'Alembert herausgegebenen Encyclopédie mit. Sein philosophisches Hauptwerk "Système de la nature" erschien 1770 unter falschem Namen (Band 1 und Band 2 vollständig im Internet). Es fand breite Aufmerksamkeit, aber auch vehemente Ablehnung. Das französische Parlament ordnete die öffentliche Verbrennung seiner Schriften an.

    Inhalt:

    Biographie , Zitate, Vortrag zu d'Holbachs 200. Todestag von Prof. Dr. Brekle
    Unterrichtseinheit mit Text und Fragen zu Holbach
    Paul Thiry d'Holbach: Religionskritische Schriften (Auszüge)

    Biographie:

    08.12.1723 Geboren im pfälzischen Edesheim als Sohn des Winzers Johann Jakob Thiry und Frau, Tochter des fürstbischöflichen Steuereintreibers

    1744 - 1748 Studium der Natur- und Rechtswissenschaft an der liberalen Universität Leyden

    In Paris wurde er von seinem Onkel Baron Franz Adam Holbach adoptiert, wodurch er später dessen Titel und Vermögen erbte.

    1749 Bekanntschaft mit Diderot

    1750 Heirat mit Basile Genevieve, deren Vater Nicolas d’Aine ihm später den Titel „Conseiller du Roi“ und die franz. Adelsmitgliedschaft übergab.

    Ab 1753 Verfasst er als Privatgelehrter mehr als 300 überwiegend naturwissenschaftliche Artikel für die  Encyclopédie

    1756 Heirat mit Charlotte, Schwester seiner inzwischen verstorbenen 1. Frau.

    Ab 1760 Beginn seiner religionskritischen Arbeiten

    1766 Das Buch ,,Das entschleierte Christentum” erschien unter falschem Namen, da d'Holbach mit Repressalien rechnen musste. Wie sehr man dann gegen dieses Buch vorging, wird deutlich, wenn man hört, daß ein Apothekergehilfe zu neun Jahren Galeere verurteilt wurde, nur weil er ein Exemplar verkauft hatte.

    1768 Erscheinen des Werkes „La contagion sacrée“ (Die heilige Seuche)

    1770 Erscheinen des Hauptwerkes „Système de la Nature …“ unter falschem Namen aus Furcht vor Verfolgung (Band 1 und Band 2 vollständig im Internet)

    1776 Erscheinen des Werkes „La morale universelle ou les devoirs de l’homme fondés sur la nature“ (Allgemeine Moral oder die Pflichten des Menschen auf der Grundlage seiner Natur

    21.01.1789 Holbach stirbt in Paris

    Zitate:
    Wenn ein Atheist richtig geurteilt und seine Natur zu Rate gezogen hat, so hat er Prinzipien, die zuverlässiger und immer menschlicher sind als die des Abergläubischen, der durch eine finstere oder schwärmerische Religion entweder zur Torheit oder zur Grausamkeit geführt wird. Niemals wird man die Einbildungskraft eines Atheisten so sehr vernebeln, daß man ihm glaubhaft macht, Gewalttätigkeiten, Ungerechtigkeiten, Verfolgungen, Morde seien tugendhafte oder rechtmäßige Handlungen.
    (Paul Thiry D'Holbach)

    Wem dient also der Glaube? Einzig und allein einigen Menschen, die sich des Glaubens bedienen, um die Menschheit zu unterjochen.
    (Paul Thiry D'Holbach)

    In der Vernunft und in unserer eigenen Natur werden wir Führer haben, die viel sicherer sind als jene Götter, denen die Geistlichkeit nach ihrem Gutdünken irgendwelche Worte in den Mund legt und deren Sprache sie je nach ihren Interessen auslegt.
    (Paul Thiry D'Holbach)

    Zum 200. Todesjahr eines Aufklärers aus der Rheinpfalz: Paul Thiry, Baron von Holbach

    Rundfunkvortrag von Prof. Dr. Herbert B. Brekle, gesendet am 24.12.1989 im Bayerischen Rundfunk II, Sendereihe ‚Freigeistige Betrachtungen’

    Holbach ist heute sowohl in seinem Geburtsland wie auch in seinem eigentlichen Heimatland Frankreich weitgehend vergessen. Dabei gehörte er - wie auch sein aus Regensburg stammender gleichaltriger Zeitgenosse Friedrich Melchior Grimm - zum innersten Kreis der französischen Aufklärungsbewegung, die sich durch so illustre Namen wie Voltaire, Rousseau und Diderot charakterisieren läßt. Als Naturwissenschaftler und radikalaufklärerischer Philosoph gehörte Holbach zweifelsfrei zu jenen geistesgeschichtlich bedeutenden Gestalten des europäischen 18. Jahrhunderts, die Grundlagen dafür gelegt haben, daß die Menschheit die auch heute noch vielfach spürbaren Fesseln ihrer selbstverschuldeten geistig-intellektuellen Unmündigkeit sprengen kann.

    Holbach wurde am 8. Dezember 1723 unter dem Namen Paul Thiry im rheinpfälzischen Edesheim nach katholischem Ritus getauft. Sein Vater war Johann Jakob Thiry, seine Mutter Katherina Jakobea, geborene Holbach. Sein Onkel mütterlicherseits, Francois Adam Holbach - 1728 in den Reichsfreiherrenstand erhoben - schuf die materiellen Voraussetzungen für die Ausbildung und die späteren Lebensumstände seines Neffen. 1744 verließ Holbach die engstirnig klerikal geprägte Rheinpfalz und immatrikulierte sich an der damals geistig freiesten und fortschrittlichsten Universität Europas, im niederländischen Leiden. Ab 1749 lebte Holbach als naturalisierter Franzose in und um Paris und wurde 1753 nach dem Tode seines Onkels durch eine bedeutende Erbschaft zu einem sehr wohlhabenden Mann. Seine Einkünfte erlaubten ihm ein großes gastfreundliches Haus zu führen; in seinem Salon spielte sich ein Gutteil des französischen und europäischen Geisteslebens im dritten Viertel des 18. Jahrhunderts ab. Darüber hinaus unterstützte er großzügig die Arbeit an der großen französischen Enzyklopädie, vor allem deren philosophisch und literarisch wichtigsten Kopf, Denis Diderot, mit dem ihn eine enge Freundschaft verband. Holbachs immense wissenschaftliche und philosophisch-aufklärerische Produktion läßt sich recht gut in drei Phasen einteilen:

    Von 1752-1760 arbeitet er hauptsächlich für die Enzyklopädie; er übersetzt und redigiert weit über 400 Beiträge zu Themen aus der Mineralogie, der Bergbaukunde und der Chemie. Gleichzeitig sammelt Holbach Materialien zur Geistes- und Ideologiegeschichte, hauptsächlich aus französischen und englischen Quellen.

    Hieraus ergibt sich für das Jahrzehnt von 1760-1770 die beeindruckende Zahl von über 35, wegen der strengen Zensur fast ausschließlich in Holland publizierten Werken. Charakteristische Titel sind etwa Das entschleierte Christentum (1761), Briefe an Eugenie, oder Schutzmittel gegen die Vorurteile (1768), Der Geist des Judentums (1769).

    Das dritte Jahrzehnt seines Schaffens, von 1770-1780 kulminiert mit seinen auch von der Nachwelt immer wieder stark beachteten Hauptwerken: Versuch über die Vorurteile (1770), System der Natur (1770, Band 1 und Band 2 vollständig im Internet), Der gesunde Menschenverstand (1772), Das Gesellschaftssystem, oder natürliche Grundsätze der Moral und der Politik (1773), Die universelle Moral, oder die Pflichten des Menschen, gegründet auf seiner Natur (1776). Holbachs ideologiekritische, auf eine Befreiung der Gesellschaft und des Einzelnen vom doppelten Joch des Absolutismus und der Herrschaft des Klerus hinzielenden Werke, erschienen praktisch alle pseudonym oder anonym. Diese Vorsichtsmaßnahme war für Holbach überlebensnotwendig; selbst sein Reichtum und hoher gesellschaftlicher Rang hätten ihn sonst nicht vor der Bastille oder der Galeere retten können.

    Quelle und Weiterlesen: http://ak-schulfach-ethik.de/Personen/holbach.htm


Julien Offray de la Mettrie
1709 - 1751
  • Ein Manifest des Materialismus: La Mettries Kampfschrift Die Maschine Mensch löste bei ihrem Erscheinen 1748 einen veritablen Skandal aus. Der Autor, ein französischer Arzt und Philosoph, war bereits im Exil in Holland und musste nun nach Preußen an den Hof Friedrichs des Großen flüchten. Selbst aufgeklärten Denkern wie Diderot oder Voltaire gingen die Ideen des Materialisten und Enfant terrible der Philosophie zu weit.

    Seine Definition des Menschen als eine bloße Maschine, die weder Seele noch Geist im üblichen Sinn hat und auf Gott gut und gerne verzichten kann, empfanden sie als zynisch. Dabei lag dem Autor nichts ferner als die Verachtung der menschlichen Existenz. Im Gegenteil: Aus jedem seiner Sätze spricht Bewunderung für die perfekte Maschine, für das komplizierte Zusammenspiel von Nerven, Muskeln und Körpersäften. Hört auf, über den Ursprung des Menschen, seine Seele und das Jenseits zu spekulieren, so lautet La Mettries Botschaft, erfreut euch lieber an der Schönheit der Natur. Allein das diesseitige Glück zählt, also Lebensfreude und Sinneslust. Eine Botschaft, die heute in der Hirn- und Glücksforschung auf fruchtbaren Boden fällt.

    Take-aways

    • Die Maschine Mensch aus dem Jahr 1748 ist eine radikale Kampfschrift der französischen Aufklärung.
    • Für La Mettrie ist alles am Menschen Materie. Eine immaterielle, unsterbliche Seele existiert nicht.
    • Die Materie trägt das Prinzip der Bewegung in sich selbst. Es bedarf keines Gottes, um die Bewegung der Welt zu erklären.
    • Mensch und Tier sind ähnlich gebaute Maschinen, die sich nur durch ein paar „Zahnräder“ unterscheiden.
    • Nicht Spekulationen, sondern allein naturwissenschaftliche Beobachtungen berechtigen zu Aussagen über den Menschen.
    • Statt über Gott, unseren Ursprung und unser Schicksal nach dem Tod zu philosophieren, sollten wir das Leben genießen und uns an der Schönheit der Natur erfreuen.
    • La Mettrie, nicht nur Philosoph, sondern auch Arzt, begründet seine Theorie mit Beispielen aus der Medizin.
    • Sein Stil ist teils polemisch, teils aber auch sehr poetisch.
    • Die Maschine Mensch löste einen Skandal aus und zwang den Autor ins preußische Exil.
    • Selbst aufgeklärten Geistern wie Diderot und Voltaire gingen La Mettries Angriffe gegen Glaube und Religion zu weit.
    • In der Hirnforschung findet La Mettries Theorie von Seelen- und Geisteszuständen als Ergebnis der Nervenaktivitäten heute großen Zuspruch.
    • Martin Walser setzte La Mettrie in seinem Roman Der Augenblick der Liebe (2004) ein Denkmal.

    Zusammenfassung

    Körper und Seele sind eins

    Philosophen, die den Menschen in Körper und Geist, in Leib und Seele aufteilen, irren gewaltig. Naturwissenschaftliche Beobachtungen und medizinische Untersuchungen zeigen: Der Mensch ist eine Maschine, die Seele hat ihren Sitz in den Organen. Die bis in die Antike zurückreichende Lehre von den Körpersäften stimmt auch heute noch. Je nach Zusammensetzung der vier Säfte besitzt ein Mensch ein sanguinisches, cholerisches, melancholisches oder phlegmatisches Temperament. Aufgrund der individuellen Mischung der Säfte ist jeder Mensch einzigartig.

    Körperliche Vorgänge haben direkte Auswirkungen auf seelische Empfindungen. Phänomene wie etwa die Hysterie oder die Hypochondrie lassen sich stets auf organische Ursachen zurückführen. Leidenschaften wie Liebe, Neid, Hass oder Ehrgeiz, die uns den Schlaf rauben, gehen mit einer gesteigerten Blutzirkulation einher. Schlaflosigkeit beruht auf einer Wechselwirkung zwischen Körper und Seele: Bewegt sich das Blut zu schnell, kann die Seele nicht schlafen, ist die Seele zu erregt, kann sich das Blut nicht beruhigen. Erst wenn sich die Bewegung des Blutes verlangsamt, kann auch die Seele wieder Ruhe finden.

    Nahrung, Klima und Erziehung prägen uns

    Gifte und Genussmittel verändern körperliches und seelisches Befinden gleichermaßen: Opium bereitet Ruhe und Vergnügen, Kaffee vertreibt Kopfschmerzen und Sorgen, im Gegensatz zum Wein, der diese auf den nächsten Tag verschiebt. Nahrungsmittel stärken den Körper und zugleich die Seele. Eine gute, bekömmliche Mahlzeit verschafft Freude und lässt den Kummer verschwinden. Rohes Fleisch hat beim Menschen eine ähnliche Wirkung wie bei Tieren, die es wild macht: Es erzeugt Hochmut, Hass und Überlegenheitsgefühle. Schwere Kost macht den Geist träge, faul und gleichgültig. Selbst dem unbestechlichsten, nüchternsten Richter unterlaufen nach einer schweren Mahlzeit Fehlurteile. Umgekehrt verleitet der Hunger zu Raserei und grausamsten Taten selbst gegen die eigenen Kinder. Man könnte fast meinen, die Seele wohne im Magen! Ebenso wie die Ernährung hat das Klima großen Einfluss auf den Geist und die Gewohnheiten der Menschen. Und auch die Gesellschaft, in der man aufwächst, spielt eine entscheidende Rolle. Der Geist braucht tägliche Übung und gute Erziehung, wenn er nicht einrosten soll.

    „Man wird vielleicht erstaunt sein, dass ich es gewagt habe, meinen Namen auf ein so kühnes Buch wie dieses zu setzen. Ich hätte es gewiss nicht getan, wenn ich nicht der Meinung gewesen wäre, dass die Religion vor allen Versuchen, die man unternimmt, sie“

    Zwischen der Anatomie des menschlichen und derjenigen des tierischen Gehirns bestehen große Ähnlichkeiten. Der Mensch ist das Lebewesen mit den meisten Gehirnwindungen, gefolgt vom Affen, dem Biber, dem Fuchs und der Katze. Es gilt also: Je wilder die Tiere, desto weniger Gehirn. Und umgekehrt: Je mehr ihr Geist wächst, desto geringer wird ihr Instinkt. Entscheidend ist allerdings nicht die Größe des Gehirns, sondern seine Zusammensetzung aus festen und flüssigen Bestandteilen, Gefäßen und Nervenfasern. Anatomische Beobachtungen beweisen, dass ein kräftiger Körper die Voraussetzung für eine gesunde Seele und einen scharfsinnigen Geist ist.

    Sprache unterscheidet den Menschen vom Tier

    Die auffällige anatomische Ähnlichkeit zwischen Mensch und Affe legt die Vermutung nahe, dass ein Affe bei richtiger Unterweisung das Sprechen lernen könnte. Würde man ihm die Sprache beibringen, wäre er ein vollkommener Mensch, fähig zu denken und aus seiner Erziehung Nutzen zu ziehen. Vor der Erfindung der Sprache war der Mensch nur eine Art unter vielen, die sich kaum von Affen oder anderen Tieren unterschied. Erst durch die Wörter, die Sprache, die Gesetze und Wissenschaften wurde sein Geist geschliffen.

    „Es genügt nicht, dass ein Weiser die Natur und die Wahrheit erforscht; er muss auch wagen, sie auszusprechen zugunsten der kleinen Zahl derer, die denken wollen und können.“ (S. 21)

    Wer aber hat als Erster gesprochen? Es waren die am besten gebauten Menschen, die von der Natur mir besonderer Wahrnehmungs- und Ausdrucksfähigkeit ausgestattet worden waren. Sie begannen, ihre Eindrücke und Empfindungen auszudrücken, erst durch Bewegungen, dann durch spontane Laute. Sie gebrauchten ihr Gefühl oder ihren Instinkt, um Geist und später spezielle Kenntnisse zu erwerben. Nach und nach füllten sie ihr Gehirn mit Zeichen, Wörtern und Ideen. Wie kleine Kinder lernten sie, die Dinge, Figuren und Zahlen zu unterscheiden. Heute sind Gegenstände und deren Zeichen in unserem Gehirn unlösbar miteinander verknüpft; es kommt kaum vor, dass wir uns eine Sache ohne ihren Namen vorstellen.

    Die Einbildungskraft

    Das Wesen der menschlichen Seele ist die Einbildungskraft, während Urteilsvermögen, Verstand und Gedächtnis nur Teile von dieser sind. Wahrnehmen, Analogien herstellen, Schlüsse ziehen, sich die Dinge mit ihren Figuren und Wörtern vorstellen – all dies leistet die Einbildungskraft. Sie überlegt, ergründet und empfindet zugleich. Sie erweckt Wissenschaften, Künste, Landschaften und Geräusche zum Leben. Ohne sie wäre die Liebe nur Wollust und die Philosophie nur staubtrockene Pedanterie. All unser Wissen, unsere Gelehrsamkeit und Tugend verdanken wir allein der natürlichen Veranlagung der Einbildungskraft. Sie muss allerdings auch trainiert werden. Je mehr wir sie beanspruchen, desto größer, kräftiger, umfassender und denkfähiger wird sie. Ohne Übung ist das bestkonstruierte Gehirn nutzlos. Ein gut gebautes und unterrichtetes Gehirn nimmt Ideen auf, verarbeitet sie und zieht daraus neue Schlussfolgerungen. So entwickelt sich der menschliche Geist stetig weiter.

    „Der menschliche Körper ist eine Maschine, die selbst ihre Triebfedern aufzieht – ein lebendes Abbild der ewigen Bewegung.“ (S. 35)

    Es ist ein Irrtum vieler Philosophen, zu glauben, der Geist sei für die Wissenschaften, die Einbildungskraft dagegen für die Kunst zuständig. In Wirklichkeit sind Geist, Genie und Einbildungskraft nur verschiedene Ausdrücke für dasselbe. Die Einbildungskraft bringt ebenso Künste hervor wie Wissenschaften und Philosophie. Allerdings muss sie schon früh daran gewöhnt werden, sich im Zaum zu halten, die unablässig, chaotisch einströmenden Ideen zu bändigen und sie zu ordnen.

    Mensch und Tier sind aus demselben Stoff

    Was den Instinkt betrifft, ist der Mensch dem Tier unterlegen. Das ist ein Nachteil, solange seine Vernunft noch nicht ausgebildet ist: Ein verloren gegangenes Kind wird hilflos zu weinen anfangen; ein verlorener Hund dagegen findet dank seines Geruchssinns schon bald zu seinem Herrn zurück. Erst die Wunder der Erziehung erheben den Menschen über das Tier, erst der Geist macht ihn zum Menschen. Die Tauben, Blinden und Schwachsinnigen gehören nur dem Körper, nicht aber dem Geist nach zur Gattung Mensch. Sie sind Tiere in Menschengestalt. Vergleicht man das Wunder der menschlichen Entstehung von der Befruchtung der Eizelle bis zur Entwicklung des Fötus, zeigen sich auffällige Ähnlichkeiten zur Tier-, ja selbst zur Pflanzenwelt.

    „Wir halten uns für rechtschaffene Menschen und sind es doch nur, solange wir heiter und beherzt sind; alles hängt davon ab, wie unsere Maschine zusammengesetzt ist.“ (S. 37)

    Man mag einwenden, es gebe doch noch etwas, was den Menschen vom Tier unterscheide, nämlich seine Kenntnis von Gut und Böse. Aber wer sagt uns denn, dass Tiere dieses Empfinden nicht auch haben? Der Hund, der seinen Herrn gebissen hat, bereut es und schämt sich. Ein Löwe greift unter Umständen einen Menschen nicht an, weil er in ihm seinen Wohltäter erkennt. Tiere sind uns in ihrem Wesen ähnlich, sie führen dieselben Verrichtungen aus wie wir, sie haben dieselben Empfindungen, Schmerzen und Freuden. Warum also sollten sie nicht auch Unrecht empfinden und gute von bösen Taten unterscheiden können? Für Tiere wie für Menschen gilt: Je nach ihrem Temperament können sie mehr oder weniger grausam sein. Sie sind aus demselben Stoff; dem Tier fehlt nur ein gewisser Grad an Entwicklung, um dem Menschen gleich zu sein.

    Das Naturgesetz von Gut und Böse

    Es gibt ja auch Menschen, die barbarisch handeln und Laster nicht von Tugend unterscheiden können. Soldaten kämpfen gegeneinander, fesseln und töten sich ohne Gewissensbisse. Die Zeitungen sind voll von Geschichten über Menschen, die stehlen und morden, sogar über Mütter, die ihre Kinder töten und aufessen. Hinterher bereuen diese Frauen ihre Grausamkeit, im Augenblick der Tat aber sind sie nicht zurechnungsfähig. Die Vernunft ist Sklavin ihrer rasenden Sinne – daher sollten sie nicht schuldig gesprochen werden. Leider erkennen die Richter das nicht und lassen immer wieder Frauen für ihre unwillentlichen Verbrechen rädern, verbrennen und lebendig begraben. Dabei ist die schlimmste Strafe ohnehin das eigene Gewissen.

    „Der Mensch ist aus keinem wertvolleren Lehm geknetet; die Natur hat ein und denselben Teig verwendet, bei dem sie lediglich die Hefezusätze verändert hat.“ (S. 77)

    Der Tugendhafte wird durch das Glück belohnt, das er empfindet, wenn er Gutes tut und anderen Freude bereitet. Glücklich zu sein ist denn auch die Bestimmung von Mensch und Tier. Die Natur hat allen Lebewesen ein Gesetz mitgegeben, ein Gefühl dafür, was wir nicht tun dürfen, weil wir nicht wollen, dass man es uns antut. Vielleicht achten wir den Geldbeutel und das Leben der anderen nur aus Furcht um unser eigenes Hab und Gut. Dieses innere Naturgesetz existiert unabhängig von allen erzieherischen Maßnahmen, unabhängig von religiösen und staatlichen Gesetzen.

    Gibt es einen Gott?

    Wenn es ein höheres Wesen gibt, so ist es sicher nicht auf die strenge Frömmigkeit oder den religiösen Kult der Menschen angewiesen. Der Sinn der Existenz des Menschen ist nicht außerhalb zu suchen, sondern besteht in dieser Existenz selbst. Der Mensch ist wie ein Wurm auf die Erde geworfen, ohne dass man wissen kann, warum. Wie die Pilze und Gräser muss er leben und sterben – mehr weiß man nicht. Ob es einen Gott gibt oder nicht, kann uns letztlich egal sein, denn wir werden es nie wissen, und wenn wir es wüssten, würde es uns auch nicht glücklicher machen. Jegliches Philosophieren darüber ist nutzlos und langweiliges Geschwätz.

    „Die Natur hat uns alle einzig dazu geschaffen, glücklich zu sein; ja, alle – vom kriechenden Wurm bis zum Adler, der sich in den Wolken verliert.“ (S. 83)

    Alles im Universum hat physische Ursachen, aber weil wir diese oft nicht kennen, nehmen wir unsere Zuflucht zu Gott. Wir leugnen, dass alles auf Zufall beruhen könnte, und berufen uns auf ein höheres Wesen. Dabei verkennen wir, dass noch etwas Drittes im Spiel sein könnte, was weder Zufall noch Gott ist: die Naturgesetze. Die Naturforscher können uns erklären, welche Kräfte die Welt geschaffen haben, wie sich die Erde zusammensetzt, wovon sie umgeben ist. Sie können darlegen, dass die Sonne ein natürliches Erzeugnis ist, ebenso wie z. B. die Elektrizität, und dass sie nicht eigens dazu geschaffen wurde, den Menschen zu wärmen. Ebenso wenig wurde der Regen geschaffen, um unsere Felder zu begießen, und die Wasseroberfläche, damit wir uns darin spiegeln können. Nur die Naturgesetze haben Gültigkeit. Eine andere Religion als die der Natur ist Heuchelei, Aberglaube und Götzendienst.

    Die Seele ist eine Körperfunktion

    Die Fähigkeiten unserer Seele hängen vom organischen Bau unseres Körpers ab, ja sie sind dieser Bau selbst. Der Mensch ist eine „gut erleuchtete Maschine“. Selbst wenn man annimmt, dass er im Unterschied zum Tier ein Bewusstsein für Gut und Böse besitzt, so bleibt er doch eine Maschine – ausgestattet mit ein paar zusätzlichen Rädern und Triebfedern. Der Körper hat alles, was er braucht, um zu denken und zu fühlen.

    „Wie sollen wir jetzt das Naturgesetz definieren? Es ist ein Gefühl, das uns lehrt, was wir nicht tun dürfen, weil wir nicht wollen, dass man es uns antut.“ (S. 85)

    Experimente mit Tieren, deren Muskeln nach dem Tod weiterzucken, beweisen: Jede kleinste Faser des Körpers bewegt sich durch ein ihr eigenes Prinzip, unabhängig vom zentralen Nervensystem, das willkürliche Bewegungen steuert. Das Bewegungsprinzip sitzt im Körperbau, jeder Teil der Maschine Mensch hat seine eigenen Triebfedern. Der Fluchtreflex, das Verengen der Pupillen bei Lichteinfall, das Zusammenziehen der Hautporen bei Kälte, die Kontrolle der Schließmuskeln und die Erektion – all dies sind mechanische Reaktionen auf äußere Reize. So wie die Beine Muskeln zum Laufen haben, hat das Gehirn Muskeln zum Denken. Der Sitz der Seele ist das Gehirn, hier haben die Nerven ihren Ausgangspunkt. Alle menschlichen Gefühle, Gedanken und Leidenschaften entspringen von hier aus. Daraus folgt: Der Mensch ist nur eine Zusammensetzung von Triebfedern, die sich gegenseitig aufziehen. Die Seele ist ein besonders empfindlicher Teil des Gehirns, der Haupttriebfeder der ganzen Maschine.

    „Wer weiß übrigens, ob der Sinn der Existenz des Menschen nicht in seiner Existenz selbst liegt?“ (S. 85)

    Wir bilden uns ein, unsere Existenz einer Ursache zu verdanken, die bedeutender ist als chemische Prozesse. Wir verachten die Materie. Wir verschließen unsere Augen vor der schöpferischen Leistung der Natur, die eine Getreideähre mit der gleichen Leichtigkeit und Freude hervorbringt, wie sie ein menschliches Genie erschafft. Statt uns Spekulationen über unseren Ursprung und unser Schicksal nach dem Tod hinzugeben, sollten wir unsere Unkenntnis akzeptieren, die Schönheit der Natur bewundern und das Leben genießen.

    Zum Text

    Aufbau und Stil

    Julien Offray de La Mettries Die Maschine Mensch ist – abgesehen von einer kurzen Einleitung – in einem einzigen Stück ohne Unterteilungen verfasst. Der Text scheint mit heißer Feder geschrieben zu sein, und noch heute ist die Lust an der Provokation in jeder Zeile spürbar. Mit Ironie und bissigem Spott überzieht der Arzt und Philosoph seine Kollegen und die Theologen seiner Zeit, die komplizierte Systeme errichten und größte Denkanstrengungen unternehmen, um die Existenz der menschlichen Seele zu beweisen – unter Ausklammerung der körperlichen Funktionen. La Mettries materialistische Kampfschrift ist polemisch, mitunter aber auch sehr bildhaft und poetisch. Das macht ihren stilistischen Reiz aus: Auf der einen Seite schwelgt der Autor geradezu in Blut und Schleim, auf der nächsten Seite schon gerät er in Verzückung über den Flügelschlag eines Schmetterlings. Die zahlreichen Beispiele, mit denen er seine Theorie untermalt, entstammen hauptsächlich dem medizinischen, häufig auch dem sexuellen Bereich. Dabei nimmt La Mettrie – zum Entsetzen seiner Zeitgenossen – kein Blatt vor den Mund. Von der Schlaflosigkeit bis zum Völlegefühl, von Erektionen bis hin zu Potenzproblemen: Nichts Menschliches ist ihm fremd oder unwert, analysiert zu werden.

    Interpretationsansätze

    La Mettrie wendet sich gegen die auf Platon zurückgehende und von Descartes aufgegriffene Zweisubstanzenlehre, die das Denken bzw. die Seele strikt vom Körperlichen, Materiellen trennt. Diesem philosophischen Dualismus setzt er seinen materialistischen Monismus entgegen und betont die Idee vom ganzen Menschen, in dem Körper und Seele eine unauflösbare Einheit bilden.

    Erfahrung und Beobachtung sind für den Materialisten La Mettrie die einzigen Mittel, um zuverlässige Aussagen über die Natur zu machen. Damit stellt er sich in die Tradition von John Lockes Empirismus, der alle wissenschaftliche Erkenntnis aus der Sinneswahrnehmung und Naturbeobachtung ableitet.

    In religiösen Fragen zeigt sich La Mettrie radikaler und kompromissloser als selbst der unerbittliche Kirchengegner Voltaire. Er greift nicht nur religiöse Praktiken und die Kirche an, sondern stellt die Existenz Gottes überhaupt infrage. Seinem äußerst kämpferischen Atheismus zufolge sollten an die Stelle der Theologen Ärzte treten – sie allein hätten Einblick in menschliche Verhaltensweisen.

    Die Aufforderung, das Leben zu genießen, statt über Gott, die Seele und das Jenseits zu spekulieren, brachte La Mettrie den Vorwurf des Hedonismus ein. Tatsächlich bekannte sich der Materialist zu den Lehren des antiken Philosophen Epikur und empfahl ungehemmtes Streben nach diesseitigem Glück, d. h. nach Sinneslust.

    Indem La Mettrie dem Leben jeden höheren Sinn abspricht und die Existenz des Menschen aus sich selbst heraus begründet, nimmt er nihilistische und existenzialistische Positionen vorweg. Sein biologistisches, antimoralistisches Weltbild macht ihn zu einem Vorläufer des Marquis de Sade.

    Historischer Hintergrund

    Die französische Aufklärung

    Mitte des 18. Jahrhunderts erschien in Paris die von Denis Diderot und Jean d’Alembert herausgegebene Encyclopédie. Das Lexikon, das trotz staatlichen Verbots in Zehntausenden von Exemplaren gedruckt wurde und sich rasch zum Bestseller seiner Zeit entwickelte, spiegelte den Geist der Aufklärung perfekt. Unter französischen Intellektuellen herrschte ein ungebrochener Glaube an die Macht von Vernunft und Wissenschaft. Durch Erziehung hoffte man das allgemeine Wohl und die Tugend zu befördern und schließlich die ganze Menschheit in eine freiere, glücklichere Zukunft zu führen. Die Aufklärer richteten sich gegen etablierte Autoritäten in Kirche und Staat ebenso wie gegen den Aberglauben und die okkulten Gebräuche der breiten Massen.

    Die Kritik der Aufklärer an der absolutistischen Gesellschaft führte in Frankreich zu einer massiven Veränderung der literarischen Produktion, die von Zensur, Verboten und Verfolgung bestimmt war. Viele Autoren sahen sich gezwungen, ihre Werke anonym oder im Ausland zu veröffentlichen. Während in Frankreich unter der absoluten Monarchie eine Opposition heranwuchs, die schließlich die Französische Revolution durchführte, öffneten sich andere Staaten wie Preußen, Österreich und Russland schrittweise den Ideen der Aufklärer. Sie ließen Reformen in der Verwaltung, im Schul- und Rechtswesen und in der Kirchenpolitik zu, ohne die ständische Ordnung und die Rolle der Monarchen anzutasten. Insbesondere Preußens König Friedrich der Große war in ganz Europa für seine Toleranz gegenüber religiösen Minderheiten und für seine freidenkerische Haltung berühmt. An seinem Hof in Potsdam empfing er aufgeklärte Denker seiner Zeit, darunter auch Voltaire, mit dem er eine intensive Korrespondenz unterhielt.

    Entstehung

    Als Schlüsselerlebnis, das ihm die Augen für den engen Zusammenhang zwischen Körper und Geist öffnete, nannte La Mettrie eine schwere Erkrankung. Während eines Feldzugs im Österreichischen Erbfolgekrieg, an dem er als Leibarzt des Duc de Gramont teilnahm, erfasste ihn ein heftiges, von Wahnvorstellungen begleitetes Fieber. Er konnte an sich selbst beobachten, wie der kranke Körper seinen Geistes- und Gemütszustand beeinflusste. Seine Erkenntnisse schrieb er 1745 in der Histoire naturelle de l’âme nieder. Sie wurde wegen ihres ketzerischen Inhalts in Frankreich öffentlich verbrannt.

    Ab 1747 spitzten sich die Angriffe gegen La Mettrie in einer Weise zu, dass er sich gezwungen sah, Frankreich zu verlassen und nach Holland zu fliehen. Die Arbeit an seinem Hauptwerk begann er im niederländischen Exil. Dort wurden aufgrund der relativ großzügigen Zensurbestimmungen verbotene Bücher für ganz Europa gedruckt. La Mettries Schrift erschien anonym bereits im Oktober 1747, wurde aber auf 1748 vordatiert.

    Schon einige Zeit vorher hatte René Descartes das Tier als eine Art Maschine bezeichnet. La Mettrie warf dem berühmten Philosophen vor, die Maschinenhaftigkeit und die animalische Natur des Menschen zwar erkannt, aus Angst vor kirchlicher und staatlicher Verfolgung jedoch darüber geschwiegen zu haben.

    Wirkungsgeschichte

    Unmittelbar nach Erscheinen löste L’homme machine einen Skandal aus. Selbst die für ihre Toleranz bekannten Niederländer konnten ein solch provozierendes, offen atheistisches Pamphlet nicht dulden. Mit Mühe und Not gelang es dem Autor, aus Holland über die Grenze nach Preußen zu fliehen. Am Hof des aufgeklärten preußischen Königs erhielt der verfolgte Philosoph schließlich Asyl.

    L’homme machine, das in den Augen der Zeitgenossen nicht zuletzt wegen seiner freimütigen Behandlung sexueller Themen gegen Moral und Sitte verstieß, fand selbst unter aufgeklärten Denkern vorerst keinen Zuspruch. Erst der deutsche Sozialphilosoph Friedrich Albert Lange würdigte in den 1860er Jahren diesen „Prügelknaben des französischen Materialismus“ und dessen Rolle als Begründer einer neuen philosophischen Denkrichtung. La Mettries Ethik lehnte allerdings auch er ab. Es sollte noch knapp ein Jahrhundert dauern, bis L’homme machine ohne moralische Empörung philosophisch-wissenschaftlich untersucht wurde. Der Schriftsteller Martin Walser bezog sich in seinem 2004 erschienenen Roman Der Augenblick der Liebe auf La Mettrie und setzte dem Franzosen damit ein literarisches Denkmal.

    In Zeiten von Hirnforschung, Computersimulationen und künstlicher Intelligenz erhält die Diskussion über das Verhältnis von Körper und Geist neue Aktualität. Besonders in der Neurobiologie, die seelisch-geistige Zustände auf elektrochemische Aktivitäten von Nervenzellen zurückführt, findet La Mettries Modell eine verblüffende Entsprechung.

    Über den Autor

    Julien Offray de La Mettrie wird am 19. Dezember 1709 als Sohn eines wohlhabenden Kaufmannes in Saint-Malo geboren. 1725 beginnt er mit dem Studium der Philosophie, wechselt aber schon bald zur Medizin. Nach seiner Promotion 1733 zieht er ins niederländische Leiden, wo der damals berühmte Mediziner Herman Boerhaave lehrt. La Mettrie übersetzt dessen Schriften ins Französische und beginnt eigene Abhandlungen zu verfassen. Zwei Jahre später kehrt er in seine bretonische Heimatstadt zurück, heiratet und arbeitet als Arzt. 1742 verlässt er seine Familie, um Sanitätsoffizier und Leibarzt des Duc de Gramont zu werden, den er auf Feldzügen begleitet. Durch einen heftigen Fieberanfall mit Wahnvorstellungen erlebt er, welchen Einfluss der kranke Körper auf den Geist ausübt. Das Thema beschäftigt ihn fortan in seinen Schriften, u. a. in Histoire naturelle de l’âme (Naturgeschichte der Seele) und in La volupté (Die Kunst, Wollust zu empfinden), beide 1745 erschienen. Seine scharfe Kritik an Pariser Kollegen zwingt ihn ins holländische Exil, während seine Schriften in Frankreich verbrannt werden. Mit L’homme machine (Die Maschine Mensch, 1747) treibt er es allerdings selbst in den Augen der toleranten Holländer zu weit: La Mettrie flieht an den Hof Friedrichs des Großen. In Potsdam genießt der Querdenker zunächst Narrenfreiheit. Doch seinen skandalösen Discours sur le bonheur (Über das Glück, 1748), ein Buch über Scham- und Schuldgefühle, kann sogar der aufgeklärte preußische Monarch nicht dulden und verbietet die Schrift. Am 11. November 1751 stirbt La Mettrie im Alter von 42 Jahren am Hof Friedrichs – ob infolge einer riesigen Trüffelpastete oder eines Giftanschlags, bleibt bis heute ungeklärt.

    Quelle: https://www.getabstract.com/de/zusammenfassung/die-maschine-mensch/8468


Erasmus von Rotterdam
1466 - 1536
  • Erasmus  – die Liebe zum Lehrer als erster Schritt beim Lernen. Grosse Erzieher und Menschenkenner aus der Zeit des Humanismus haben uns Erziehungsweisheiten hinterlassen, die bis heute nichts an Gültigkeit verloren haben. Vor dem Türkensturm aus Konstantinopel flüchtende Gelehrte brachten griechische und lateinische Pergamente nach Italien. Sie ermöglichten einen erneuten Zugang zu antiken Autoren, an denen sich die humanistischen Gelehrten schulten. Es bewirkte eine Befreiung von der mittelalterlichen Scholastik und zog bahnbrechenden Errungenschaften auf allen Gebieten des menschlichen Wissens nach sich (Galilei, Kepler, Kopernikus, Bacon, Descartes, Newton, Boyle, Leonardo da Vinci usw.).
    Über einen dieser grossen Gelehrten berichtet Peter Aebersold.

    Erasmus lebte von 1514 bis 1529 in Basel, wo er dank der neuen Buchdrucktechnik als «Vermittler von Bildung» wirkte. In Basel druckte Johann Froben seine Schriften, darunter 1516 sein bedeutendstes Werk «Novum Instrumentum omne», eine lateinische Übersetzung des Neuen Testaments mit dem griechischen Originaltext.

    Erziehungslehre

    Vor allem zwei Bücher führen in seine Erziehungslehre ein: «Über die Notwendigkeit einer frühzeitigen wissenschaftlichen Unterweisung der Knaben» von 1529, das von der Kindheit und dem Knabenalter handelt und «Über die Methode des Studiums» von 1511, das die Reifezeit umfasst.

    „Menschen werden nicht als Menschen geboren, sondern als solche erzogen!“

    Aus den Überlieferungen eines Platos, Aristoteles’, Plutarchs und Quintilians schöpfend, verkündete Erasmus den modernen Erziehungsgedanken, der die humanistischen Lehrpläne bis ins 18. Jahrhundert beeinflusste. Bei seinen Ausführungen über die Kindererziehung wendet er sich an den Vater eines Neugeborenen, der erst zum Vater werde, indem er auch das geistige Wesen seines Kindes prägt.

    «Der Mensch, der fast aller natürlichen Waffen und Vorteile des Tierreichs entbehrt, wird durch die Vernunft über alle übrigen Lebewesen erhoben.»

    Erziehung bedeutete für Erasmus und die Humanisten, dass Wissen und Tugend eins sind und dass demzufolge die sittliche Tüchtigkeit des Menschen direkt von der ihm zuteil gewordenen Schulung abhängt. Der Mensch, der fast aller natürlichen Waffen und Vorteile des Tierreichs entbehre, werde durch die Vernunft über alle übrigen Lebewesen erhoben. Sie statte ihn mit einer grenzenlosen Lernfähigkeit und einzigartigen Bildsamkeit aus, der den ursprünglichen Mangel bei weitem ausgleiche.

    Die bewegende Kraft in der Kindererziehung ist einzig und allein die Liebe, niemals aber die Furcht.

    Die Erziehbarkeit des Kindes sei in den ersten Lebensjahren am grössten, in dieser Periode müssten Erziehung und Unterricht ihre Hauptarbeit leisten. Leider seien sich nicht alle Eltern ihrer hohen und verantwortungsvollen Aufgabe bewusst. Der Vater tue gut daran, den Übungen seiner Söhne so oft als möglich beizuwohnen; der bezahlte Lehrer enthebe ihn nicht der Pflicht, die Entwicklung seines Kindes zu überwachen. Die Fehler des Kindes seien im Grunde diejenigen seiner Erzieher. Man möge sich auch hüten, die Kinder zu verwöhnen und zu verzärteln. Die sittliche Erziehung gehe vom persönlichen Vorbild, von Rat und Ermahnung aus. Man müsse den Kindern die Tugend nicht nur predigen, sondern sie auch daran gewöhnen.

    Zwar sei der Mensch bei guter Unterweisung und Übung fähig, alles zu lernen, aber am weitesten werde er dort vorankommen, wohin ihn Gefühl und innerer Drang weisen. Da aber das Kind noch nicht den Wert der Wissenschaften erkennen könne, werde es um des Lehrers willen lernen, darum gelte: «Der erste Schritt zum Lernen ist die Liebe zum Lehrer».

    Die bewegende Kraft in der Kindererziehung sei einzig und allein die Liebe, niemals aber die Furcht. Jede Gewalttätigkeit hinterlasse bleibenden Schaden in der kindlichen Seele. Für Kinder sei nichts schädlicher, als wenn sie an Schläge gewöhnt werden, wie es bei den mittelalterlichen Schulmethoden üblich war.

    «Der erste Schritt beim Lernen ist die Liebe zum Lehrer, und im Verlauf der Zeit wird es gewiss geschehen, dass der Knabe, welcher die Wissenschaften um des Meisters willen zu lieben begonnen hatte, später an dem Meister um der Wissenschaft willen hängt.»

    Mit Wort und Tat lehre man die Kinder erkennen, was gross und edel sei; das Vorbild des Lehrers werde nicht unwirksam bleiben. Einfühlendes Verstehen werde den Lehrer davor behüten, das Kind zu überfordern und von ihm Leistungen zu verlangen, die seine Kräfte übersteigen. Er solle die milde Mahnung des Plinius beherzigen: «Bedenke, dass jener ein Jüngling ist, und dass auch du es einmal warst.» Immer möge man sich dem kindlichen Denkvermögen anpassen, das nur durch anschauliche und lebendige Darstellung angesprochen werde. Das Lernen soll ein Spiel sein, dann werde das Kind nicht müde werden, sich unterweisen zu lassen. Fern halte man von den Kindern die «lächerlichen Märchen alter, simpler Weiber» und die «Lügengewebe aus Volkssagen». Anhand einfacher Erzählungen, die sowohl lehrreich als auch gefällig sind, könne man Kindern die wichtigsten Regeln der Grammatik beigebringen.

    Kolloquien Erasmus

    Colloquien: einfache Erzählungen (Wikipedia)

    Für seine Privatschüler schrieb Erasmus die «Colloquien». Sie begannen als informelle Lateinübungen und sind eine Sammlung von rund fünfzig Dialogen über Krieg, Reisen, Religion, Schlaf, Bettler, Beerdigungen und Literatur geworden. Alle waren in dem gleichen anmutigen, einfachen Stil und sanften Humor gehalten, als Übungen und leichte Lektüre in Latein für Generationen von Schülern.

    Der höhere Unterricht und der Lehrerberuf

    Nach Erasmus sollten für die Ausbildung der Lehrer die weltlichen und geistlichen Obrigkeiten sorgen, die hierfür besondere Anstalten zu errichten hätten. Bis das geschehe, müssten private Lehrer gesucht werden, obwohl das gemeinsame Lernen der Schüler in öffentlichen Schulen den Vorteil habe, gegenseitiges Wetteifern zu ermöglichen. Man schützt die Schwäche und Ungelehrigkeit der Jugend vor, während es doch nur die dürftigen Methoden des Lehrens und Lernens seien, die für die erfolglose Erziehung verantwortlich gemacht werden müssten.

    Erasmus fordert einen «gründlich gebildeten und durch langjährige Praxis erprobten Lehrer».

    Im Buch «Über die Methode des Studiums» beschreibt Erasmus die Gestaltung des höheren Unterrichts, der von der lateinischen und griechischen Grammatik zur Lesung klassischer Autoren führt. Philosophie, Theologie, Mythologie und Geographie könnten am besten aus den Werken des Altertums gelernt werden, aus denen die Humanisten während zweier Jahrhunderte ein Juwel nach dem anderen zutage förderten.

    Wer sich dem Lehrerberuf widmen wolle, müsse auch Geschichte, Astronomie und Naturwissenschaften studieren, denn der Unterricht werde ihn auf alle Gegenstände des Wissens führen. Erasmus fordert einen «gründlich gebildeten und durch langjährige Praxis erprobten Lehrer»: «Ich will, dass einer alles durchstudiert, damit nicht jeder einzelne alles durchzustudieren braucht». Er weiss, dass seine Unterrichtsmethode grosse Anstrengungen verlangt, aber er ist nicht geneigt, sie deswegen aufzugeben.

    Das Lehrprogramm von Erasmus ist charakteristisch für das Denken im «goldenen Zeitalter» des Humanismus: Hochschätzung der Erziehung, übernationale Geisteshaltung, Bewunderung des geistig schaffenden und schöpferischen Individuums, Liebe zum Kinde und unbegrenztes erzieherisches Ethos.

    Lebenslauf

    Erasmus wurde um 1467 in Rotterdam unehelich als Sohn eines Priesters und dessen Haushälterin geboren. 1485 besuchte er mit seinem Bruder die Lateinschule der «Brüder vom gemeinsamen Leben» in Deventer, wo der Humanist Rudolf Agricola sein lebenslanges Vorbild wurde und sein Interesse an der Literatur der klassischen Antike weckte. Nach dem Tode seiner Eltern während einer Pandemie wurde er Regularkanoniker im Augustinerkloster in Gouda und empfing 1492 die Priesterweihe.  Von 1495 bis 1499 studierte er an der Sorbonne in Paris Theologie und unterrichtete Privatschüler. Mit einem Schüler ging er nach England, wo er den Humanisten Thomas Morus und den Gräzisten John Colet sowie den späteren König Heinrich VIII. kennen lernte. Später war er am Hofe von Burgund in Löwen Erzieher (Rat) des späteren Kaisers Karl V. In vielen seiner Werke übte der ehemalige Mönch scharfe Kritik an der katholischen Kirche, der er jedoch zeitlebens verbunden blieb. Seine weit verbreiteten und vielgelesenen Bücher waren Wegbereiter der Reformation. Als Erasmus 1536 in Basel starb, wurde der Katholik im Kreuzgang des reformierten Basler Münsters beigesetzt.

    Quellen: https://en.wikisource.org/wiki/Familiar_Colloquies/Table_of_Contents

    Will Durant und Ariel Durant: Kulturgeschichte der Menschheit: Das Zeitalter der Reformation

    Tags: Aufklärung, Humanismus, Lehrer-Schüler-Beziehung, Rolle der Lehrerin, Rolle des Lehrers

    Quelle: https://condorcet.ch/2021/05/erasmus-die-liebe-zum-lehrer-als-erster-schritt-beim-lernen/


Michel de Montaigne
1533 - 1592
Johann Amos Comenius
1592 - 1670
  • Der tschechische Theologe, Philosoph und Pädagoge Johan Amos Comenius war überzeugt von der menschlichen Bildungsfähigkeit und der grenzenlosen Fassungskraft des Geistes. Er entwickelte die erste systematisch aufgebaute Pädagogik der Neuzeit auf der Basis der Muttersprache und das erste Bilderbuch für Kinder.

    Sein Leben: Katastrophen und Hoffnung

    Jan Amos Komenský, so sein bürgerlicher Name, wird am 28. März 1592 in Nivnice in Ostmähren geboren. Schon mit zehn Jahren verliert er seine Eltern und Geschwister. Er wächst bei einer Tante auf, unter dem Einfluss der Brüderunität – einer christlichen Bewegung, die nach dem Geist der Bergpredigt und dem Vorbild der christlichen Urgemeinden lebt. In Herborn und Heidelberg studiert er Philosophie und Theologie.

    1616, im Alter von 24 Jahren, wird Comenius Pfarrer der Brüderunität und übernimmt 1618 die Leitung der Gemeinde und der Schule in Fulnek. Er heiratet. Im selben Jahr beginnt der Dreißigjährige Krieg, der fortan sein Leben bestimmen soll.

    Alle Nicht-Katholiken müssen fliehen, Comenius hält sich versteckt und wechselt ständig seine Aufenthaltsorte. Er verliert seine Frau und seine zwei kleinen Kinder durch eine Seuche.

    Mit seiner Gemeinde muss er nach Lissa (das heutige Lezno in Polen) ins Exil und übernimmt dort die Leitung des Gymnasiums. Er heiratet ein zweites Mal. In dieser Zeit verfasst er eine Vielzahl pädagogischer Schriften.

    Comenius wird Bischof der Brüdergemeinde, reist nach London und Stockholm, wo er die Regierungshäuser in Bildungsfragen berät. 1648 kehrt er nach Lissa zurück. Seine zweite Frau stirbt. Der Westfälische Frieden bringt keine Anerkennung für die Brüdergemeinde.

    Comenius heiratet erneut, reformiert das Schulwesen in Sárospatak in Siebenbürgen und verfasst neue Schulbücher. 1656 verliert er nach seiner Rückkehr nach Lissa sein gesamtes Hab und Gut bei der Zerstörung der Stadt im polnisch-schwedischen Krieg. Die Brüdergemeinde löst sich auf, Comenius flieht nach Amsterdam.

    Bis ans Ende seines Lebens widmet er sich dort mit ganzer Kraft seinen didaktischen Schriften. Am 15. November 1670 stirbt der große Pädagoge, der trotz harter Rückschläge niemals resignierte und nie die Hoffnung auf eine bessere Welt und neue, friedfertige Menschen aufgab.

    Sein Erziehungsziel: "Omnes Omnia Omnino"

    Comenius sah in der Erziehung den einzigen Ausweg aus dem verkehrten Zustand der Menschheit. In einer Zeit, die von Kriegen, Unterdrückung und Unrecht geprägt war, verlor er nie den Glauben an die Macht der Erziehung und die Selbstbildungsfähigkeit des Menschen.

    Alle alles auf umfassende Weise zu lehren – "omnes omnia omnino" – war sein Ziel. Alle hieß für ihn: jeder einzelne Mensch ungeachtet seines Alters, seiner Besitzverhältnisse, seines gesellschaftlichen Standes und seines Geschlechts. Von allem wollte er das Wesentliche, die Grundlage lehren.

    Seine Methode war ganzheitlich und frei von Zwang. "Die Lust zu ergründen" wollte er fördern, das Lernen sollte "wie ein Spiel und kurzweilig vor sich gehen". Er forderte eine öffentliche Schule für alle.

    Comenius war überzeugt davon, dass jeder Mensch gefördert werden kann. "Wenn Sie sagen, dass man nicht aus jedem Holz einen Löffel schnitzen könne, so antworte ich: Aber aus jedem Menschen kann ein Mensch werden, wenn nicht einer auftritt, der die Sache verdirbt."

    Seine Methode: Muttersprache und Bildung von der Wiege an

    Nach Comenius' Vorstellungen soll sich Erziehung in vier Schritten vollziehen: Schon von der Wiege an lernen die Kinder in der "Mutterschule" mit "Buchen und Eichen als Lehrer".

    Von sechs bis zwölf sollen dann alle Kinder in öffentlichen Schulen Lesen, Schreiben, Messen, Rechnen, sowie grundlegende religiöse, sittliche, geographische, geschichtliche und politische Kenntnisse erlernen – nicht wie damals in den wenigen Schulen üblich in Latein, sondern in der Muttersprache.

    Wer keinen handwerklichen oder kaufmännischen Beruf ergreift und die Begabung für ein Studium besitzt, geht danach bis 18 in die Lateinschule, lernt neben weiteren Übungen in der Muttersprache Latein, Griechisch und Hebräisch, die klassischen Künste, Physik, Geographie, Chronologie, Geschichte, Ethik und Theologie. Die Universität von 19 bis 24 Jahren soll trotz Fächerwahl weiter auch allgemeinbildend sein.

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    Comenius veröffentliche das bebilderte Schulbuch "Orbis sensualium pictus"

    Sein Einfluss: Didaktik und Optimismus

    Comenius' Reformvorschläge wurden in seiner Zeit kaum umgesetzt. Aber dennoch hatte sein Lebenswerk indirekten Einfluss auf die Entwicklung des Schulwesens – vor allem auf die Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht und auf die Einführung des muttersprachlichen Unterrichts als Fundament der Volksbildung.

    Schon zu seinen Lebzeiten genoss Comenius großes Ansehen als Gelehrter und als Berater für Schulentwicklung. Das englische Parlament, die schwedischen Könige und deutschen Fürsten beauftragen ihn mit Schulreformen.

    Auch der französische Kardinal Richelieu und die amerikanische Harvard-Universität wollten ihn als pädagogischen Leiter gewinnen. Viele seiner Unternehmungen scheiterten meist aufgrund der politischen Wirrungen.

    Seine schriftlichen Werke waren von längerer Dauer. Sein pädagogisches Hauptwerk ist die "Didactica magna" (Große Unterrichtslehre), eine der wichtigsten Schriften in der Geschichte der Didaktik.

    Diese pädagogische Systematik enthält schon alle wesentlichen Prinzipien, Kategorien und Grundfragen, die die Pädagogik der Neuzeit bewegen: von anthropologischen Grundfragen über Erziehungsziele, Lerninhalte und Methodikfragen bis hin zu Fragen der Schulorganisation.

    Ebenso bekannt ist der "Orbis sensualium pictus" (Die sichtbare Welt in Bildern), eines von Goethes Lieblingsbüchern. Es ist ein illustriertes, lateinisch-deutsches Sprachenbuch für Kinder und gilt als das erste Bilderbuch und als Vorläufer der heutigen Schulbücher.

    (Erstveröffentlichung 2004. Letzte Aktualisierung 07.06.2021)

    Quelle: https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/lernen/deutschunterricht/pwiejohanamoscomenius100.html


Etienne de la Boétie
1530 - 1563
  • Am 5. April 1942 erscheint in der New York Times ein Artikel mit der Überschrift "An Anti-Nazi of 1548." Vorgestellt wird ein Text aus dem 16. Jahrhundert, nämlich der Discours de la servitude volontaire ou le Contr’un von Etienne de La Boétie (1530-1563), und er wird als Antwort auf die Verhältnisse in Nazi-Deutschland gelesen. Der Verfasser, ein gewisser Harry Kurz, hat die kleine Schrift eben aus dem Französischen ins Englische übersetzt und unter dem den Zeitumständen angepassten Titel Anti-Dictator herausgegeben.

    Immerhin ist es der einzige Text aus dem 16. Jahrhundert, der von der nationalsozialistischen Zensur in Deutschland und im besetzten Belgien verboten worden ist. Was ist das für ein Text, der über die Jahrhunderte hinweg erinnert und in einer solchen Situation zu Hilfe gerufen wird? Was ist das für ein Text, der trotz seines Alters die Aufmerksamkeit der Nationalsozialistischen Partei auf sich zu lenken vermochte?

    Jürg Berthold über Étienne de La Boétie: Von der freiwilligen Knechtschaft

    Als ich das Büchlein zu Beginn der 1980er-Jahre in einem Antiquariat in Berlin zum ersten Mal in der Hand hielt, war ich mir der Geschichte seiner Wirkung noch nicht bewusst. Ich lernte sie erst später kennen, als ich die von Horst Günther minutiös zusammengetragenen Dokumente im Anhang der in der Zwischenzeit leider vergriffenen Neuedition bei der Europäischen Verlagsanstalt studierte. Fasziniert war ich zunächst vom paradoxen, aber eingängigen programmatischen Titel. Und dann war da der Kupferstich von Juste de Juste (1505-1559) als Illustration auf dem Cover. Beides zusammen versinnbildlichte Boéties Aussage: «Man wird es mir nicht glauben, aber es ist wahr; vier oder fünf Leute sind es immer, die den Tyrannen stützen». Ich war knapp zwanzig Jahre alt und die Analyse der Herrschaftsstrukturen, wie sie von Boétie vorgenommen wurde, schien mir aktuell zu sein. Zwar merkte ich dem Text an, wie er in seiner eigenen Zeit verhaftet war; dass sich die Analyse frühmoderner Herrschaftsverhältnisse nicht direkt auf spätkapitalistische Demokratien übertragen ließ, wusste ich – wenn auch mehr intuitiv als mit guten Gründen. Aber ich hatte das deutliche Gefühl: Hier geht es um etwas Zentrales. Darüber hinaus faszinierte mich der Umstand, dass ein Text über die Jahrhunderte hinweg eine Wirkung entfalten konnte, wenn er – wie im Fall von Harry Kurz’ Intervention – auf produktive Art neu gelesen und präzise in einen bestimmten Kontext platziert wurde.

    Der Grundgedanken, der auf den knapp 50 Seiten entwickelt wird, ist schnell auf den Punkt gebracht: Wir, denen unsere stumme Zustimmung zur zweiten Natur geworden ist, sind es, die die Verhältnisse stützen. Wir sind weniger Opfer, als wir nur allzu schnell anzunehmen bereit sind. Vielleicht war es, wie Montaigne suggeriert, tatsächlich ein einziger Satz von Plutarch, der Boétie inspiriert hatte: «Die Asiaten waren die Sklaven eines Mannes, weil sie die eine Silbe ‹Nein!› nicht auszusprechen vermochten». Es sind also nicht, so Boétie, die «Hellebarden und Garden und das Aufstellen von Wachen, die die Tyrannen schützen, denn sie bedienen sich ihrer … mehr der Form wegen und als Vogelscheuchen, als dass sie ihr Vertrauen darauf setzen». Das ist das «Geheimnis der Herrschaft, die Stütze und Grundlage der Tyrannei». «Theater, Spiele, Possen, Schauspiele, Wettkämpfe, Tiergefechte, Gedenkmünzen, Gemälde und andere dergleichen Gaukeleien waren für die Völker der Antike der Köder der Knechtschaft, der Preis der Freiheit und das Werkzeug der Tyrannei. Durch solche Machenschaften und Verlockungen schläferten die antiken Tyrannen ihre Untertanen unter dem Joche ein.» Solche Passagen las ich als Vorwegnahme von Adornos und Horkheimers Analysen der Kulturindustrie in deren Dialektik der Aufklärung (1944) oder von Guy Debords Societé du spectacle (1967). Dass man mit einem lauten Nein nicht nur etwas stoppen, sondern auch etwas ins Rollen bringen konnte, bestätigte sich wenig später in den Leipziger Montagsdemonstrationen, die zum Inbegriff einer friedlichen Revolution wurden. Der Ruf «Wir sind das Volk» klang wie das entfernte Echo auf Boétie.

    Meist begegnet man Texten ja mehrmals im Leben, nicht selten unter gänzlich veränderten Bedingungen. Man kann dann die Erfahrung machen, dass sie sich nicht nur über die Jahrhunderte hinweg in ihrer Wirkung verändern, sondern auch in Bezug auf die eigene intellektuelle Biographie. Das zweite Mal stieß ich auf den Discours de la servitude volontaire ou le Contr’un von Etienne de La Boétie im Zusammenhang mit Louis Althusser (1918-1990), über den ich einige Jahre später meine Doktorarbeit schrieb. Er verdanke Boétie beinahe mehr als Marx, gesteht Althusser ein, wenn er die Leerstellen im Marx’schen Werk in Bezug auf den Begriff der Ideologie beklagt. Dazu gehört vor allem die Einsicht, die die Grundlage seiner eigenen Ideologie-Theorie bildet. Im Text Idéologie et appareils idéologique d’Etat (1970) entwickelt Althusser den Begriff des «assujetissement»: Boéties lose Aufzählung von Brot und Spielen vermag nämlich noch nicht die konkrete Wirkweise des Ideologischen zu fassen. Deshalb führt Althusser einerseits den Begriff des «ideologischen Staatsapparates» ein, um die materielle Existenz der ideologischen Anrufung zu fassen; darunter versteht er Institutionen im weitesten Sinne. Andererseits macht er die Doppeldeutigkeit des französischen Begriffs «sujet» als ‹Untertan› und ‹selbstbestimmtes Subjekt› fruchtbar: In dem Moment, in dem ich als Subjekt angerufen werde, findet schon ein Moment der Unterwerfung (assujetissement) statt. Wenn ein Polizist, so Althusser, ein konkretes Individuum auf der Straße mit einem «He, Sie da!» anruft und dieses sich umdreht, so ist das die Ur-Szene dieser Subjektwerdung im doppelten Sinne. Wie Althusser zeigt, repräsentiert, als Folge dieser Anrufung, die Ideologie das imaginäre Verhältnis der Individuen zu ihren realen Existenzbedingungen.

    Ein drittes Mal stieß ich auf Boétie im Zusammenhang mit den philosophischen Gedanken zur Freundschaft bei Jacques Derrida (1930-2004). Im Buch Politiques de l’amitié (1994), das kurz vor seinem Tod ins Deutsche übersetzt wurde, unternimmt er es, die Demokratie zu denken, resp. das, was sie sein könnte (à venir). In diesem Zusammenhang steht die Erzählung der wunderbaren Freundschaft zwischen Michel de Montaigne (1533-1592) und dem nur drei Jahre älteren Boétie: Montaigne, damals 24-jährig, wie Boétie in Bordeaux wohnhaft und wie jener in einem politischen Amt tätig, hatte den späteren Freund über die Schrift von der freiwilligen Knechtschaft kennengelernt. Elektrisiert von der Lektüre, suchte er ihn sofort auf. In seinem Essay De l’Amitié (1580) zeichnet er in eindringlichen Worten, fast zwanzig Jahre nach Boéties Tod, im Rückblick seine Freundschaft mit ihm nach und macht sie zum Inbegriff dessen, was zwischen Freunden möglich ist.

    Derrida wird von der Frage umgetrieben, wie man den Raum des Politischen gedanklich erschließen kann, ohne in die alten Denkformen des Blutes wie Nation, Familie oder Brüderlichkeit zu verfallen. Die Figur des Freundes wird ihm zum Inbegriff dieser Möglichkeit: «Wann werden wir für eine Erfahrung der Freiheit und der Gleichheit bereit sein, die auf diese Freundschaft, aus Achtung vor ihr, die Probe macht und schließlich gerecht, gerecht jenseits des Rechts, das heißt dem Maß ihres Unmaßes gemäß wäre? O Freunde, Demokraten …» Dieses emphatische Verständnis der Demokratie ruft uns eine im französischen Sprachraum wichtige Unterscheidung in Erinnerung, jene zwischen dem Politischen (le politique) und der Politik (la politique), die für verschiedene Autorinnen und Autoren (etwa Nancy, Mouffe oder Laclau) wichtig ist. Uns im deutschsprachigen Kontext kann sie helfen, uns aus der Fixierung auf die institutionelle Seite der Politik zu befreien.

    Auf meinem weiteren Denkweg wurde zunehmend die Frage wichtig, wie ein und derselbe Text so unterschiedlich wirken kann. Ein Text ist nicht eine feste Einheit mit einem definierten Sinn und starren Begriffsunterscheidungen, sondern konstituiert und rekonfiguriert sich in der jeweiligen Lektüre. Wo diese fruchtbar ist, ist sie das Resultat einer Aneignung, die ihn verwandelt, das Ergebnis einer Anverwandlung, die aus aktuellen Fragen und Interessenlagen heraus erfolgt. Walter Benjamin hat für dieses Zusammenspiel in seinem Passagen-Werk ein sehr schönes Bild gesetzt: «Für den Dialektiker kommt es darauf an, den Wind der Weltgeschichte in den Segeln zu haben. Denken heißt bei ihm: Segel setzen. Wie sie gesetzt werden, das ist wichtig. Worte sind seine Segel. Wie sie gesetzt werden, macht sie zum Begriff» (PW, I, 591: N9, 6).

    Jürg Berthold, geb. 1963, studierte Philosophie, Germanistik und Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Zürich und in Bristol und promovierte mit Althusserlektüren. Lektüre/Ideologie/Didaktik in Louis Althussers Diskurs (1992), einer Studie zu Rhetorik und Aneignungsstrategien in Althussers Texten. Er ist Privatdozent für Philosophie an der Universität Zürich, wo er sich mit einer Arbeit zur Geschichtlichkeit der Philosophie habilitierte: Kampfplatz endloser Streitigkeiten (2011). In Stimmen (2011) plädiert er für ein Selbstverständnis der Philosophie, das die Vielfalt philosophischer Formen respektiert und sich ihrer Historizität bewusst bleibt.

    Rubrik: Theorie-Galerie
    Thema: Philosophie
    Personenindex: Althusser Louis, La Boétie Etienne de
    Veröffentlicht: 26. April 2015

    Quelle: http://www.theoriekritik.ch/?p=1605


John Locke
1632 - 1704
  • John Locke wurde als Sohn eines Gerichtsbeamten am 29.8.1632 in Wrington, Bristol, geboren. Er studierte Naturwissenschaft, Medizin und Philosophie. In seiner Jugend erlebte er den engl. Bürgerkrieg, die Republik und schließlich die Restauration der Monarchie mit. Durch seine Schriften erlangte er Einfluss auf die europäische Philosophie, sowie Volkswirtschaft, Pädagogik, Naturreligionen und politischen Liberalismus1.

    Er war sehr gut mit dem Physiker und Chemiker R. Boyle und Newton befreundet. Mit seinem philosophischen Hauptwerk Concerning Human Understanding (Versuche über den menschlichen Verstand) beginnt Locke 1671. Es wurde erstmals um 1689/90 veröffentlicht. Sein Hauptwerk zur politischen Philosophie Two Treatises of Government (Zwei Abhandlungen über die Regierung) verfasste er um 1683.

    Ab 1691 lebte er bis zu seinem Tode größtenteils auf dem Land und veröffentlichte noch einige Bücher (z.B. "Einige Gedanken über Erziehung" oder "Über die Vernunftmäßigkeit des Christentums") Hochgeachtet seiner Zeitgenossen starb er auf dem Land in Oates.

    3) Zeiteinordnung:

    Die ersten Anfänge der Demokratie sind in Griechenland mit der Entstehung der Polis zu erkennen (ca. 900 v.Chr.). Hierbei wird zum erstenmal die Bedeutung des Menschen als Einzelwesen gesehen. Unter Polis versteht man die politische Reglung öffentlicher Angelegenheiten durch die Volksversammlung. Sie bestimmte die Gesetzgebung, Innen-, Außen-, Finanz- und Militärpolitik. Die Volksversammlung setzte sich hierbei aus Vollbürgern (z.b. Familienoberhaupt) zusammen, eine Minderheit der Einwohner. Metöken1 (Frauen, Ausländer und Sklaven) waren keine Vollbürger und hatten somit zum Teil keine, zum Teil begrenzte Rechte. Dieses rief Kritik am System hervor.

    Hierbei muss man auch Aristoteles erwähnen (ca. 380 - 320 v.Chr.). Für ihn war die Demokratie (Politie) die beste Verfassungsform. Das Wort Demokratie wurde jedoch von Schüler mit dem Namen "Ochlokratie"2 (Pöbelherrschaft) ersetzt. Dies wirkte sich bis zur Franz. Revolution negativ aus. Auch Römer und germanische Völker beruhten auf den Grundsatz der Gleichberechtigung des Bürgertums (Information zur politischen Bildung, Demokratie, Neudruck 1992, Seite 2) so dass die Volksversammlung auch hier das oberste Organ war. Sie war jedoch, auch wie bei der Polis, nur auf Familienoberhäupter beschränkt. Doch für die ärmere Bevölkerung verbesserte sich dadurch die materielle Lage und ihre politische Bedeutung.

    Im europäischen Mittelalter war eine Verknüpfung monarchischen, aristokratischen und demokratischen Prinzipien. In den Städten, welche eine aristokratische Verfassung hatten, gab es hauptsächlich eine demokratische Mitbestimmung.

    Im 17. Jahrhundert kam die Zeit der Aufklärung. Es entstand ein neues Menschenbild. Der Mensch als Vernunftwesen. Hierbei stellte sich nun die Frage, welche politische Ordnung richtig ist und wie man durch Verknüpfung von Freiheit des einzelnen Individuums und öffentlicher Ordnung gesellschaftliche Unterdrückung vermeidet. John Locke, Charles Secondat de Montesquieu und Jean-Jacques Rousseau hatten zu dieser Frage unterschiedliche Antworten, welche sie in ihren Schriften verdeutlichen. Montesquieu möchte wie Locke die Machtverteilung auf einzelne Bereiche, welche dem Machtmissbrauch des Monarchen Schranken setzte. Seine Gewaltenteilung setzt sich aus Legislative (gesetzgebende Gewalt), Exekutive (ausführende Gewalt) und Judikative (richterliche Gewalt) zusammen. Auch er sah, wie Locke, die Repräsentation des Volkes durch Abgeordnete vor.

    Rousseau entwickelte einen Gesellschaftsvertrag. Dieser sah eine politische Ordnung durch Vereinbarungen vor. Er glaubte an das Gute im Menschen und alle sollte sich zum gemeinsamen Schutz zusammenschließen. Rousseau ist für die direkte Demokratie ohne Gewaltenteilung und Repräsentation.

    4) Die Theorie der Ideenentstehung:

    Der Ausgangspunkt seiner Lehren ist die Kritik an den angeborenen Ideen. Während Rationalisten behaupteten, dass gewisse Ideen angeboren sein müssen, da sie bei den meisten Menschen in gleicher Weise vorhanden sind, ist Locke der Ansicht, dass weder Prinzipien noch Ideen angeboren sind. Die Seele ist sozusagen ein unbeschriebenes Blatt. Lediglich die Fähigkeit des Erkennens ist angeboren.

    Nichts ist im Verstand, was nicht schon einmal in der Empfindung war und aus unseren gesammelten Erfahrungen stammt unsere Erkenntnis. Locke unterscheidet jedoch in zwei Arten der Erfahrung. Zum Ersten, die äußere Erfahrung (sensation) und zum Anderen die innere Erfahrung (reflexion). Sensation bringt nach Einwirkung der Gegenstände der Außenwelt auf unsere Sinnesorgane die Empfindung zum Bewusstsein. Bei der Reflexion werden eigene Zustände und Tätigkeiten der Seele bewusst und zum Gegenstand der Erkenntnis. Auch die Erkenntnis unterteilt Locke in Wissen und wahrscheinliche Kenntnis.

    Für ihn liegt Wissen vor, wenn die Ideen ohne weitere Argumente nachgewiesen werden können. Kann der Zusammenhang unserer Ideen nur ungenau nachgewiesen werden und muss noch durch Argumente belegt werden, dann sind unsere Kenntnisse entweder höherer oder niedrigerer Wahrscheinlichkeit. Auch hier unterscheidet Locke noch einmal. Er unterteilt es in Intuition (sichere Erkenntnis, da durch Vergleich zweier Ideen deren Wahrheit, bzw. Falschheit erkannt werden kann), Demonstration (Erkenntnis wird durch Beweis gewonnen, indem zwei Ideen durch Vermittlung über andere Ideen verglichen werden, wie z. B. in der Mathematik) und sensitive Erkenntnis (stellt die Wahrnehmung der Existenz der Dinge, bzw. der einzelnen Fakten dar. Gewissheitsgrad niedriger, kann aber durch Wissen aufgefasst werden).

    5) Staatstheorie:

    Sein Hauptwerk zur politischen Philosophie ist Two Treatises of Government (1683). Dieses Buch enthält zwei Abhandlungen über die Regierung. Der erste Teil ist ein Angriff auf die Theorie, einer auf Gottes Gnade beruhender Alleinherrschaft. Der zweite Teil des Buches ist ein Text liberalistischen politischen Denkens.

    Er entwickelt seine Staatslehre, anknüpfend an Hobbes, auf der Grundlage einer Naturrechtstheorie und seinen Vorstellungen von den angenommenen Rechtsverhältnissen des Urzustandes. Bei Locke ist das Naturrecht, das Recht auf Leben und Freiheit eines Einzelnen, während bei Hobbes der Naturzustand ein Krieg aller gegen alle ist. Nach Lockes Ansicht ist die Selbsterhaltung eines der höchsten Ziele. Daher ist es selbstverständlich, dass sie die Ziele ihres Handelns selbst setzen müssen und jeden Angriff auf ihre Existenz oder ihr Eigentum nach eigenem Ermessen strafen, d. h., das eigene Eigentum zu nützen und zu schützen und fremdes achten.

    Falls jedoch ein Kriegszustand unvermeidlich ist, dann soll man die Sicherheit der Unschuldigen und den Schwächeren vorziehen. Die Menschen versuchen sich jedoch vor dem Kriegszustand zu schützen und schließen sich somit mit Hilfe eines Gesellschaftsvertrages, wie ihn auch Rousseau vorschlägt, zusammen und setzen als souveränes Volk eine Regierung ein. Der Einzelne ist somit gezwungen, seine persönliche exekutive Gewalt zugunsten der Gemeinschaft aufzugeben. Denn nur so kann eine politische oder staatliche Gesellschaft entstehen. Um jedoch die Freiheit, den Besitz, das Leben, etc. zu schützen und zu sichern, muss die Gemeinschaft einen Richter einsetzen, der als einziger die Autorität besäße, Streitigkeiten zu entscheiden und Verbrechen zu bestrafen. Dieser wird durch das Volk gewählt. Jede gesetzliche Regierung beruht auf die Einwilligung des Volkes.

    Das Volk verliert seine Souveränität jedoch nicht, wenn es eine Regierung einsetzt oder billigt. Locke schlägt deshalb die Gewaltenteilung so vor, dass der Monarch die ausführende Gewalt wahrnimmt und die Gesetzgebung das Parlament regelt. Die Judikative wird von Locke als eine Gewalt angesehen, die als natürliche Folge der beiden anderen auftritt. Die Rechtssprechung wird deshalb für Locke zur Nebensache, denn wenn ein Gesetz verabschiedet wird, hat jeder danach zu handeln. Geschieht die Verabschiedung nicht, so wird der Übertreter (durch die Exekutive) bestraft. Deshalb ist für Locke ein Gesetz eindeutig oder nicht. Durch die Gesetzesbeschlüsse der Legislative ist die Macht des Königs natürlich begrenzt.

    Locke gibt jedoch konkrete Regeln, an die sich die Legislative halten muss, z.B. müssen sie die Gesetze öffentlich bekannt geben und dürfen nur ein Maß für Reich und Arm haben, die Gesetze sollten ausschließlich dem Wohle des Volkes dienen, Erhebung der Steuern dürfen nur durch Zustimmung des Volkes oder deren Vertreter erfolgen und die Legislative hat nicht die Befugnis ihre Gewalt (Gesetze zu geben) auf jemanden anderen zu übertragen.

    Legislative und Exekutive sollen nach Locke einen gleich hohen Stellenwert einnehmen. Falls die Exekutive jedoch ihre Befugnisse überschreitet und die Legislative an der Ausübung ihrer Gewalt hindert, wäre ein kriegsähnlicher Zustand erreicht, welcher das Volk zum Aufstand legitimiert. Wenn dieser Fall eintreten würde, dann hätte das Volk das Recht und die Pflicht, diese exekutive Gewalt durch eigene Gewalt zu beseitigen. Somit soll die Sicherheit und die Erhaltung der Gesellschaft beibehalten werden.

    Locke war zwar nicht der erste, der die Idee der Gewaltenteilung hatte (siehe z.b. Antike, Polis), doch mit diesen Vorstellungen schaffte er die Grundlage einer freiheitlich gesinnten (liberalen) Demokratie. Er war einer der ersten, der die Gewaltenteilung als grundlegendes Ordnungs- und Strukturprinzip moderner Verfassung formulierte.

    Locke sieht jedoch die Möglichkeit einer ungleichen Eigentumsverteilung durch die Entstehung des Geldes. Während Verbrauchsartikel verderblich sind und ihre Lagerung, bzw. Anhäufung unrentabel wäre, sind Gold und Silber Gegenstände, die sich zur Hortung eignen. Doch dadurch entsteht ungleicher Besitz. Da dieser ungleiche Besitz auf keiner Verletzung des natürlichen Rechts beruht, verdient er unbedingten staatlichen Schutz. Locke verfolgt mit seinen Ideen der Gewaltenteilung das Ziel, dass die Macht der Herrschaft über das Volk weniger missbraucht würde. Er selber musste ja schon in England eine solche absolute Monarchie miterleben. Dort sah er, wie der König seine Macht missbrauchte und das Volk durch viel zu hohe Steuern belastete. Das führte dementsprechend zur Revolution.

    Locke schrieb auch Toleranzbriefe (ca. 1685) und trat für religiöse Freiheit ein, jedoch sollten Katholiken und Atheisten von staatl. Duldung ausgenommen werden, da die katholische Kirche ein Verbündeter, der feudalen Restauration strebenden Kräfte war. Somit zeigt sich Locke in religiösen Fragen als Verfechter der Toleranz.

    In seinen Arbeiten zur pädagogischen Philosophie ist Locke der Ansicht, dass sich die moralische Erziehung des Kindes auf das gute Beispiel der Eltern stützen soll und nicht nach Regeln und Vorschriften. Seine Idee ist eine freundschaftliche Beziehung zwischen Eltern und Kind und die Förderung der natürlichen Anlagen des Kindes. Dies waren die Anfänge der antiautoritären Erziehung.

    6) Eigene Stellungnahme:

    Ich denke, für uns ist es mittlerweile selbstverständlich, dass die Gewalten aufgeteilt sind und wir in einer Demokratie leben. Zu Lockes Zeiten ist der Begriff der Gewaltenteilung jedoch noch eher ungebräuchlich oder unpopulär, denn für die Menschen gab es bis jetzt immer nur die Monarchie. Dies war für alle die allgemein übliche Staatsform. Die Vorstellungen von Locke über die Bedeutung des Privateigentums und der Privatsphäre finde ich sehr gut, da ich den Schutz des einzelnen Individuums sehr wichtig finde und dies nur durch solche Gewaltenteilung möglich ist. Auch die Machtbegrenzung der einzelnen Bereiche und die Kontrolle finde ich sehr gut, denn somit gab es nicht mehr nur noch eine Herrschaft wie in der Monarchie und das Volk konnte daher nicht mehr vom König ausgebeutet werden.

    Durch dieses System wird auch die Verantwortlichkeit der Machtträger (Regierung) dem Volk gegenüber sichergestellt. Was in der heutigen Situation sehr wichtig ist, denn nach Hobbes würden sich sonst heute noch alle mit allen im Kriegszustand befinden, da es keine Gewalt gibt, die für die Sicherheit der Menschen verantwortlich wäre und jeder würde nach seinem eigenen Ermessen bestrafen. So kann das Volk selbst seine Regierung wählen ohne ihre Souveränität zu verlieren.

    Man kann abschließend sagen, dass das Prinzip der Gewaltenteilung, nach Locke, der Grundstock der demokratischen Verfassung ist und ein Vorläufer der liberalen Demokratie. Diesem war man sich damals nur noch nicht richtig bewusst. Heute wird in den meisten Staaten dieses Prinzip unterstützt. Ausnahmen bilden die sozialistischen Staaten.

    Die Anfänge/Ideen einer antiautoritären Erziehung finde ich für dieses Zeitalter eher ungewöhnlich und ich denke, er ist mit dieser Meinung oft alleine gewesen. Jedoch sieht man an der heutigen Zeit, dass er damit nicht falsch lag, da die heutige Erziehung immer weiter in diese Richtung läuft.

    [...]Quelle: https://www.grin.com/document/98767 von Marlen Günther, 2000


Immanuel Kant
1724 - 1804
  • IMMANUEL KANT (eigentlich: IMMANUEL CANT) war ein deutscher Philosoph, der den sogenannten kritischen Idealismus begründete und damit zu einem der bedeutendsten Denker der Neuzeit wurde.

    KANT entwickelte die Ideen der Aufklärung weiter; er gilt als Vollender und zugleich als Überwinder der Philosphie der Aufklärung und fand auch über philosophische Fachkreise hinaus starke Beachtung. Zentrales Thema in seinem Schaffen war seine Erkenntnistheorie, in der er sich mit den Grundlagen der menschlichen Erkenntnis beschäftigte.

    Lebensgeschichte

    Die Lebensgeschichte von IMMANUEL KANT ist fast vollständig mit seiner Geburtsstadt Königsberg (heute Kaliningrad, Russland) verbunden. Dort wurde er am 22.04.1724 als viertes von neun Kindern geboren und verbrachte auch die meiste Zeit seines Lebens. Der Vater war Riemermeister.
    KANT besuchte zunächst von 1732–1740 das pietistische Gymnasium Fridericianum in Königsberg. 1740 nahm er ein Studium der Mathematik und Physik, der Theologie, der Philosophie und der klassischen lateinischen Literatur an der Albertina, der Königsberger Universität auf. Das Studium beendete er 1746 mit einer Schrift über Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte. Danach arbeitete er zunächst als Hauslehrer (Hofmeister) bei verschiedenen ostpreußischen Familien. In dieser Zeit entstanden seine ersten naturphilosophischen Schriften, u. a.: die „Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte“ (1746 und die „Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels“ (1755).

    KANT kehrte 1755 wieder in seine Geburtsstadt zurück. Er reichte seine Promotionsschrift ein, eine Meditation über das Feuer („De igne“) und erhielt den Titel Magister für Philosphie. Noch im selben Jahr erlangte er auch die Habilitation mit einer Schrift über die ersten Grundsätze der metaphysischen Erkenntnis („Nova dilucidacio“). Er begann, an der Universität Vorlesungen als Privatdozent in den unterschiedlichsten Fachgebieten zu halten: Logik, Metaphysik, Moralphilosophie, Mathematik, Physik, Geographie, Anthropologie, Pädagogik, Naturrecht, natürliche Theologie, Festungsbau. Die Geographie wurde erst von ihm als akademisches Lehrfach eingeführt.

    Die Vorlesungen und Publikationen machten KANT schnell als einen herausragenden Philosophen bekannt, sodass er verschiedene Rufe anderer renomierter Universitäten erhielt, u. a. von Erlangen (1769) und Jena (1770). KANT nahm diese Lehrstuhlangebote nicht an, dafür jedoch eine Professur für Logik und Metaphysik, die ihm 1770 von der Universität Königsberg angeboten wurde. An dieser Hochschule war er 27 Jahre tätig. Von 1766–1772 war er Unterbibliothekar der königlichen Schlossbibliothek. 1786 und 1788 wurde er zum Rektor der Universität ernannt.

    1793 wurde KANT nach Veröffentlichung seiner Schrift die „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ vom preußischen König FRIEDRICH WILHELM II. mit einem Lehr- und Publikationsverbot für religiöse Themen belegt, da sich die preußische Regierung an der von GOTTFRIED WILHELM LEIBNIZ und CHRISTIAN WOLFF mitgeprägten, rationalistischen Religionsauffassung KANTs stieß. Dieses Verbot bestand bis zum Tode des Königs 1797.

    1796 beendete KANT seine Vorlesungstätigkeit, fünf Jahre später legte er auch alle akademischen Ämter nieder. Er starb am 12.02.1804 in Königsberg.

    IMMANUEL KANT (1724–1804) war Begründer des kritischen Idealismus. In einem seiner wichtigsten Werke, „Kritik der reinen Vernunft“ (1781), erforschte KANT die Grundlagen menschlicher Erkenntnis.

    Literarisches Schaffen

    Das literarische Schaffen KANTs umfasst das gesamte Spektrum der Philosophie sowie eine Reihe von naturwissenschaftlichen Abhandlungen. Zentraler Punkt seines Gesamtwerkes war seine Erkenntnistheorie. In dem Werk „Kritik der reinen Vernunft“ (1781) erforschte KANT die Grundlagen menschlicher Erkenntnis. Diesem Werk kommt daher auch eine Schlüsselrolle für das Verständnis des Gesamtwerkes zu.
    In seiner Erkenntnistheorie differenziert Kant zwischen:

    analytischen und synthetischen Urteilen

    empirischen (aposteriorischen) und nichtempirischen (apriorischen) Urteilen.

    Ein analytisches Urteil leitet die Wahrheit aus der Analyse des Begriffs selbst her, ohne dass zusätzliche Erfahrungen notwendig sind („Die Kugel ist rund“).
    Ein synthetisches Urteil ist ein solches, das nicht durch reine Analyse abgeleitet werden kann, sondern zusätzlich eine besondere Erfahrung voraussetzt („Die Kugel ist rot“). Allgemeingültige, aus der Erfahrung gewonnene Sätze sind demnach immer synthetischer Natur.
    Ein aposteriorisches Urteil (lat.: a posteriori = vom Späteren her; nachträglich, später) ist vollständig von der Sinneswahrnehmung abhängig („Das Parfüm riecht nach Veilchen“).

    Ein apriorisches Urteil (lat.: a priori = vom Früheren her; grundsätzlich, ohne weitere Beweise) stützt sich nicht auf Sinneswahrnehmungen, sondern besitzt eine grundsätzliche Gültigkeit („Sieben plus drei gleich zehn“).
    Laut KANT gibt es:

    • analytische apriorische Urteile,
    • synthetische aposteriorische Urteile und
    • synthetische apriorische Urteile.

    Letztere sind die Basis für die reine Naturwissenschaft und Mathematik. KANT untersuchte auch die apriorischen Bedingungen von Erfahrungen wie Raum und Zeit (Transzendentalphilosophie).

    Sein ethisches System legte KANT in den Schriften „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ (1785) und „Kritik der praktischen Vernunft“ (1788, siehe PDF "Immanuel Kant - Kritik der praktischen Vernunft") dar. Kernpunkt ist die Ansicht, dass die Vernunft die höchste und letzte Autorität der Moral ist. KANT entwickelt seine formalistische Ethik aus dem Begriff der Freiheit, die er als Freiheit zur Selbstbestimmung, als Freiheit zur bewussten Befolgung der von der Vernunft vorgegebenen Gesetze definiert. Damit ist Freiheit in erster Linie die Freiheit zur Vernunft. Und:

    „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ ist also der Wahlspruch der Aufklärung...“
    (Aus: „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“, Berlinische Monatsschrift. Dezember-Heft 1784. S. 481–494, vgl. PDF "Immanuel Kant - Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?")

    Seine Vernunftsauffassung, nämlich die, dass die Vernunft die Vorherrschaft über das Wirkliche hat, teilte KANT mit GEORG WILHELM FRIEDRICH HEGEL. Mit diesen beiden Philosophen erlebte der philosophische Idealismus seinen Höhepunkt.

    1795 verfasste KANT die staatsphilosophische Schrift „Zum ewigen Frieden“ (siehe PDF "Immanuel Kant - Zum ewigen Frieden"), praktisch der Entwurf für einen Weltfriedensvertrag, der im Anhang auch eine grundsätzliche Besprechung des Verhältnisses von Politik und Moral enthält. Hier fordert der Verfasser, dass sich politisches Handeln grundsätzlich nach dem Gesetz der Sittlichkeit richten müsse.

    Zu den wichtigsten naturwissenschaftlichen Abhandlungen KANTs gehören die „Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels“ (1755, Hypothese von der Entstehung des Universums aus einem kreisenden Nebel), „Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können“ (1783), „Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft“ (1786).

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    Stand: 2010
    Dieser Text befindet sich in redaktioneller Bearbeitung.

    Quelle: https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/deutsch-abitur/artikel/lebensgeschichte-18#


Johann Heinrich Pestalozzi
1746 - 1827
  • «Der Segen der Welt ist gebildete Menschlichkeit.» (Abendstunde eines Einsiedlers, 1780). Pestalozzi gilt als einer der Klassiker der Pädagogik und als Wegbereiter einer allgemeinen Bildung für alle Menschen.

    Seine Maxime der harmonischen Bildung des heranwachsenden Menschen – Kopf, Herz und Hand – ist weithin unbestritten und prägt bis heute Bildungspläne und Unterrichtspraxis vieler Schulen. In den «Nachforschungen» von 1797 hat Pestalozzi auch das Dreigespann von Anlagen, Gesellschaft und Eigenmotivation in klassischer Weise formuliert: «Also bin ich ein Werk der Natur. Ein Werk meines Geschlechts. Und ein Werk meiner Selbst».

    Die Website (heinrich-pestalozzi.de) zeigt darüber hinaus Pestalozzi als Philosophen, als politischen Denker, Schriftsteller und Sozialreformer und gibt eine Übersicht über sein Leben und Werk und über wesentliche Teile der Fachliteratur. Schliesslich werden neue Forschungsarbeiten sowie zahlreiche Pestalozzi-Texte präsentiert. Die in 45 Bänden vorliegende Kritische Gesamtausgabe von Pestalozzis Werken und Briefen ermöglicht eine intensive Auseinandersetzung mit dem Gedankengut des Autors und seinem Beitrag zur Entwicklung pädagogischen Denkens.

    Quelle: https://www.heinrich-pestalozzi.de/  


Jean Paul
1763 - 1825
  • „Ich gebrauche nie einen anderen Arzt als mich selber.“ Der deutsche Schriftsteller Jean Paul, eigentlich Johann Paul Friedrich Richter, steht zwischen Klassik und Romantik. Seine Bewunderung für Jean-Jacques Rousseau führte zur Namensänderung. Zu den bekannten Werken zählen: „Siebenkäs“, „Das Leben des Quintus Fixlein“, „Flegeljahre“

    Jean Pauls ablehnende Haltung gegenüber dem Ärztestand spiegelt sich auch in seinem literarischen Schaffen wider.

    Das zeitlich literarische Umfeld Jean Pauls ist geprägt durch sich ablösende, gleichzeitig sich vermengende Strömungen – Aufklärung, Empfindsamkeit, Sturm und Drang, Frühromantik – sowie heftige Fehden konträrer Parteien: die Anhänger eines klassischen Kunstprogramms in Weimar gegen die Begründer der romantischen Schule in Berlin. Dieser Zeit stellt der Dichter sein ganz eigenes Werk entgegen. Das macht ihn für die Literaturgeschichte interessant. Sein Werk ist aber auch „[. . .] für die Medizinhistorik aufschlussreicher als die medizinische Fachliteratur der damaligen Zeit. Jean Paul hat als Dichter einen weit größeren Abstand von den medizinischen Geschehnissen seiner Zeit als der mitten darinstehende Arzt, und aus diesem Abstand heraus hoben sich für ihn [. . .] die charakteristischen Stilmerkmale und Zeiterscheinungen viel schärfer heraus [. . .]“ (2).

    Johann Paul Friedrich Richter (Pseudonym nach dem französischen Philosophen Rousseau) wurde am 21. März 1763 in Wunsiedel als Sohn des Pastors Christian Christoph Richter geboren. Seine Jugend war vor allem durch Pfarrer Erhard Friedrich Vogel aus Rehau, der ihn mit dem Gedankengut der Aufklärung vertraut machte, geprägt. Dessen umfangreiche und verschiedene Wissensgebiete umfassende Bibliothek eröffnete ihm die Welt der Bücher. Jean Paul fertigte bei seiner Lektüre ausführlich kommentierte Abschriften von ganzen Textpassagen an. Dieses autodidaktische Vorgehen, das er lebenslang beibehielt – im Zeitraum 1778 bis 1823 entstanden insgesamt 110 Exzerptenhefte von 30 bis 360 Seiten –, schuf die Grundlage für seine geistes- und naturwissenschaftlichen Studien. Ein Testimonium Paupertatis, ausgestellt durch sein Gymnasium in Hof, ermöglichte ihm 1781, nach dem Tod des Vaters, die Aufnahme eines finanzierten Theologiestudiums an der Universität Leipzig.

    Hierbei beschränkte er sich nicht nur auf sein Hauptfach, sondern besuchte auch philosophische und naturwissenschaftliche Vorlesungen. Er las Pope, Young, Swift, die lateinischen Klassiker Cicero, Horaz, Seneca, außerdem Voltaire, Rousseau und Toussaint. Allen ökonomischen Bedenken zum Trotz brach er sein Studium 1782 ab. Seine Zukunftsvision: „Ich will Bücher schreiben, [. . .].“ (3) Die ersten literarischen Versuche brachten keinen Erfolg. Erst 1793 etablierte er sich mit seinem Roman „Die unsichtbare Loge“ zum anerkannten Schriftsteller. Der zwei Jahre später erschienene Roman „Hesperus oder 45 Hundstage“ wurde bei den Zeitgenossen zum größten literarischen Erfolg seit dem „Werther“.

    Erfolgreich in Weimar

    Der Autor, nun im selben Atemzug mit Goethe, Schiller und Wieland genannt, erhielt Einlass in das literarische Zentrum seiner Zeit – Weimar. Verehrt von Frauen, wie Charlotte von Kalb, verschmäht von den Großen, wie Schiller und Goethe, setzte er dort die Reihe seiner literarischen Erfolge fort: „Das Leben des Quintus Fixlein“ (1796), „Siebenkäs“ (1797). Die Bekanntschaft mit den Brüdern August Wilhelm und Friedrich Schlegel 1800 in Berlin führte zu einer Aufnahme in die romantische Schule. Er schrieb „Titan“ (1803) und „Flegeljahre“ (1805). Seine letzten Lebensjahre, die er in Bayreuth verbrachte, waren vom Nachlassen seines literarischen Erfolges, Schicksalsschlägen und Krankheiten gezeichnet.

    Von seinen akademischen Lehrern hat ihn vor allem Ernst Platner (17441818), „[. . .] der als Philosoph, als Arzt, Aestetiker und Gelerter gleich gros ist, und [. . .] eben soviel Empfindsamkeit als Tiefsinn besitzt“ (4), geprägt. Im Rahmen der seinerzeit geführten Diskussion über den Zusammenhang von Körper und Seele vertrat dieser, als einer der „Philosophischen Ärzte“, die Theorie des Influxionismus: „Die Gemeinschaft der Seele und des Körpers ist also eine gegenseitige Abhängigkeit – der Seele von dem Körper in Ansehung des Denkens, und des Körpers von der Seele in Ansehung gewisser Bewegungen“ (5), die jeden göttlichen Wirkeinfluss zugunsten natürlicher Kräfte, die durch die psychophysische Wechselwirkung erklärt werden können, zurückweist.

    Die klassische Frage nach einer Verbindung zwischen res extensa (Materie, Leib) und res cogitans (Geist, Seele) versuchte er, durch eine metaphysisch-medizinische The-
    orie zu lösen. Statt Anatomie/Physiologie und Moralphilosophie zu betreiben, will er „Körper und Seele in ihren gegenseitigen Verhältnissen, Einschränkungen und Beziehungen zusammen betrachten“ (6). Er plädiert für eine Vereinigung der Disziplinen Philosophie, verstanden „als die Wissenschaft des Menschen“ und „Arzneykunst“ als „offenbar (. . .) ein Theil der Philosophie“. Denn „der Mensch ist weder Körper, noch Seele allein; er ist die Harmonie von beyden, und der Arzt darf sich wie mir dünkt, eben so wenig auf jene einschränken, als der Moralist auf diese“ (7). Sein Bestreben gipfelte in der Etablierung eines neuen Studienfachs: der neuzeitlichen Anthropologie. Ist Platners Einfluss auf Jean Paul vergleichbar mit der des Philosophielehrers Jakob Friedrich Abel auf Friedrich Schiller, so beschränkte sich dieser ebenfalls nicht nur auf das philosophische und medizinische Ressort. Wie einst „Othello“, vorgelesen durch Abel, bei Schiller (8) eröffnete „Der Sturm“ Jean Paul eine neue literarische Welt. „Die Stelle bei Shakespeare, ,mit Schlaf umgeben‘ von Platner ausgesprochen, erschuf ganze Bücher von mir.“ (9)

    Kalte Güsse zur Abhärtung

    Angeregt durch Platners Ausführungen hat sich Jean Paul in seinen theoretischen Schriften, wie „Übungen im Denken“ (1780), „Über vorherbestimmte Harmonie“ (1790) und „Vorschule der Ästhetik“ (1804), mit dem Leib-Seele-Problem beschäftigt. Die Darstellung von Krankheiten, die vorwiegend psychogener Natur sind, in seinem fiktionalen Werk ist als eine poetische Integration dieser Auseinandersetzung zu betrachten. Amandus in der „Unsichtbaren Loge“ stirbt an Nervenschwindsucht, bei Liane im „Titan“ führen seelische Erschütterungen zu körperlichen Symptomen wie Lungenkrämpfen, und Mitprotagonist Don Gaspard erkrankt an einem Nervenfieber.

    Das Krankheitsbild der Hypochondrie, eine Steigerung der psychosomatischen Erkrankungen und eine zeittypische Erscheinung, verarbeitet Jean Paul in seinen Figuren Quintus Fixlein im gleichnamigen Roman, Emanuel im „Hesperus“ und Roquairol aus „Siebenkäs“. Die Krankheitsursache sieht er in der schwachen seelischen Konstitution und einem gestörten Körper-Seele-Verhältnis. Jean Paul verstand sich jedoch nicht als Anhänger einer der etablierten konkurrierenden drei Theorien, sondern betrachtete „die Vereinigung unseres Körpers mit unsrer Seele (als) das ewige Rätsel jedes Philosophen“ (10).

    Jean Paul misstraute stets den Fähigkeiten der Ärzte. Stattdessen verließ er sich auf seine mittels populärmedizinischer Schriften autodidaktisch erworbenen Kenntnisse, denn „meine halbe Arzneykunst hilft mir mehr als eine ganzer Arzt“ (11). Die immer häufiger auftretenden Symptome wie Nervenschwindel, Bluthochdruck und ödematische Schwellungen behandelte er selbst mit Bitterwasser und Blutegeln. Grundlage einer jeder seiner Therapien waren jedoch stets „eine stärkende Diät, Wein, Fleisch, Freude“ (12). Der Mesmerismus, der in der Zeit zwischen Aufklärung und Romantik eine eminente Rolle spielte, faszinierte den Dichter. Er exzerpierte regelmäßig die Zeitschrift „Archiv für den Thierischen Magnetismus“, verfasste 1813 den Aufsatz „Mutmaßungen über einige Wunder des organischen Magnetismus“ und praktizierte den Heilmagnetismus auch selbst.

    Jean Paul war einer der zahlreichen Anhänger der Medizinlehre John Browns, die die romantische Naturphilosophie vor allem in Deutschland stark beeinflusste. In den „Flegeljahren“ setzt er dem Brownianismus, der die Ausgewogenheit der menschlichen Lebenskraft erstrebte und durch biologische Gegensteuerung und Korrektur der Körperreize eine Gesundung zu bewirken glaubte, ein literarisches Denkmal. Sein Einsatz für die Abhärtungslehre des Schotten, der, als der bürgerlichen Bewegung zugehörig, gegen eine verweichlichende Erziehungspraxis bei Kinder opponierte, beschränkte sich nicht nur auf Ratschläge in „Levana oder Erziehungslehre“ (1807), sondern führte zur Anwendung drakonischer Gesundheitsmaßnahmen in seiner eigenen Familie – wie zum Beispiel Schlafen bei offenem Fenster ohne Bettdecke, kalte Güsse zur Abhärtung, strenge Diäten, Vorwürfe an Frau und Kinder der Wehleidigkeit bei Zahnschmerzen, Kopfschmerzen.

    Ablehnung gegenüber Ärzten

    Seine ablehnende Haltung gegenüber dem Ärztestand spiegelt sich auch in seinem literarischen Gesamtwerk wider. Bereits in seinen frühen Satiresammlungen „Die Grönländischen Prozesse“ (1783) und „Auswahl aus des Teufels Papieren“ (1789) treten Ärzte auf, die ihre Kranken quälen und auf ihren Tod spekulieren. Im späteren Werk werden negativ gezeichnete Arztfiguren stets der Lächerlichkeit preisgegeben. Der Leibmedikus Dr. Kuhlpepper behandelt seinen an Blähungen leidenden Fürsten Jenner im „Hesperus“ auf Podagra, und Doktor Oelhafen im „Siebenkäs“ setzt bei jeder Art Krankheit „sein Brechmittel als Gnadenmittel, Wagenwinde, Pumpenstiefel und Fegefeuer“ ein (13). Neben diesen humoristischen Zeichnungen sind Dr. Sphex im „Titan“ und Dr. Katzenberger im gleichnamigen Roman regelrechte Karikaturen des nur an der Wissenschaft interessierten, aber unmoralischen Arztes (14).

    Sandra Krämer
    Sandra.Kraemer@studium.uni-hamburg.de
    www.aerzteblatt.de/lit3113, Dtsch Arztebl 2013; 110(31-32): A-1486 / B-1306 / C-1290


Johann Wolfgang von Goethe
1749 - 1832
  • Johann Wolfgang von Goethe wird am 28. August 1749 in Frankfurt am Main geboren. Die Jahre 1749 bis 1765 sind Zeiten wohlbehüteter Kindheit und vielseitiger Ausbildung. Goethe wird als Sohn einer wohlhabenden, lutherischen Familie in eine Welt der Traditionen hineingeboren

    Der Vater läßt seine Kinder reichhaltig, umfassend, vieles aber nur kurz anreißend ausbilden. Ziel ist eine universale Bildung, die alle Bereiche der Künste und Wissenschaften, mehrere Sprachen und Musikunterricht für Klavier und Cello umfasst. Später kommt noch Tanz-, Fecht- und Reitunterricht auf die Kinder zu. Aber es gibt auch Theater- und Konzertbesuche.

    1765-1768: Leipziger Studienjahre

    Im Oktober 1765 kommt Johann Wolfgang von Goethe zum Jura-Studium nach Leipzig. Das Studium betreibt er halbherzig. Mit einem stattlichen Budget von 1000 Talern jährlich führt er ein gesellschaftliches Leben. Gottsched und Gellert lehren zu dieser Zeit in Leipzig. Goethe befasst sich lieber mit Theologie, Naturwissenschaft und Medizin, geht ins Theater, lernt radieren, kupferstechen und zeichnen bei Adam Oeser, einem Freund Winckelmanns. Goethe verliebt sich in Anna Katharina (Käthchen) Schönkopf.

    1768-1770: Frankfurter Intermezzo

    Nach einer schwerer Krankheit kehrt Goethe Ende August 1768 nach Frankfurt zurück. Erst im Winter 1769 fühlt er sich wieder einigermaßen gesund. In dieser Zeit ist Goethe auf der Suche, er besitzt keine feste Orientierung. Sein Studium ist noch nicht beendet und auch der Wunsch des Vaters nach einer Promotion noch nicht erfüllt. Insofern kann Frankfurt nur eine Zwischenstation sein. In diesen Monaten pflegt der kranke und genesende Goethe nicht nur den Umgang mit Pietisten wie Susanna von Klettenberg (1723-1774), sondern studiert hermetische Schriften und setzte alchimistische Versuche an. Außerdem zeichnet und radiert er weiter.

    1770-1771: Straßburg

    Ostern 1770 zieht der wieder genesene Goethe zur Fortsetzung des Studiums nach Straßburg. Nach nur einem Semester legt er das Kandidatenexamen ab, das eigentliche Studium ist damit abgeschlossen. Im Sommer 1771 beginnt er mit der Promotion. Diese wird jedoch von der Fakultät abgelehnt. Er darf sich danach in einer öffentlichen Disputation von juristischen Thesen um den Grad eines Lizentiaten bewerben. Dieser Titel galt eben so viel wie der Titel eines Doktor juris. Goethe erwarb ihn mit dem Prädikat "Cum applausu". Mehr interessieren ihn in dieser Zeit jedoch medizinische, botanische, theologische und philosophische Studien. Vor allem die Chemie ist seine "heimliche Geliebte".

    Anfang September 1770 trifft Johann Gottfried Herder in Straßburg ein. Goethe besucht ihn oft. Der um fünf Jahre ältere Herder erkennt Goethes Begabung und begeistert ihn für Natur- und Volkspoesie, für Homer, Ossian und Shakespeare. "Groß und bedeutend" nennt Goethe rückblickend Herders Einfluß. Die beiden sollte eine lebenslange Freundschaft verbinden. Zur gleichen Zeit verkehrt der Student mit Heinrich Jung-Stilling (1740-1817) und Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792). Geprägt ist die Straßburger Zeit aber durch seine Liebe zu Friederike Brion (1752-1813). Goethe schrieb für sie Gedichte, beispielsweise das "Mailied" und "Willkommen und Abschied".

    1771-1775: Wieder in Frankfurt

    Wieder in Frankfurt arbeitet Goethe als Rechtsanwalt am dortigen Schöffengericht. Im September 1771 legt der junge Anwalt den Advokateneid und auch den Eid als Frankfurter Bürger ab. Nun stünde ihm eine Laufbahn offen, die auch in repräsentative öffentliche Ämter führen könnte. Goethe richtet sich eine Kanzlei im Hause seiner Eltern ein und führt Prozesse. Ende 1771 wird der "Götz von Berlichingen" fertig, ein für den Sturm und Drang vorbildliches Schauspiel.

    1772 beginnt Goethes eigentliche schriftstellerische Laufbahn als Rezensent der Frankfurter Gelehrten Anzeigen, dem bedeutenden publizistischen Organ des Sturm und Drang. Im Mai 1772 schickt ihn der Vater nach Wetzlar ans Reichskammergericht. Auf einem Ball in Volpertshausen lernt er Charlotte Buff kennen. Später macht er auch die Bekanntschaft ihres Verlobten Johann Christian Kestner. Das Verhältnis der Drei wird durch Goethes Annäherungsversuche getrübt und im September verlässt er daraufhin Wetzlar. Auf der Rückreise besucht er in Ehrenbreitstein Sophie La Roche und trifft dort deren Tochter Maximiliane.

    Goethe schreibt den "Werther" im Februar und März des Jahres 1774. Es wird sein größter internationaler Erfolg und sein aufsehenerregendstes Buch. Darin eingegangen ist der Selbstmord des Legationssekretärs Karl Wilhelm Jerusalem in Wetzlar. Dieser war im Herbst 1772 an der Liebe zu einer verheirateten Frau zerbrochen. Mit dem Erscheinen des "Götz" und des "Werther" ist Goethe zur Symbolfigur des Sturm und Drangs geworden. Unmittelbar nach dem "Werther" schreibt er das Schauspiel "Clavigo". Außerdem macht er Pläne für "Faust" und "Egmont"

    Im Jahr 1775 verlobt er sich mit der Bankierstochter Anna Elisabeth (Lili) Schönemann, zu einer Heirat kommt es aber nicht. Im Mai 1775 macht Goethe mit Friedrich Leopold (Fritz) und Christian Graf zu Stolberg und Christian Graf von Haugwitz eine Bildungsreise in die Schweiz. In Zürich sind sie zu Gast bei dem Theologen Johann Caspar Lavater, der Goethe seinerseits im Sommer 1774 in Frankfurt besucht hatte. Nach der Rückkehr nach Frankfurt löst Goethe die Verlobung mit Lili.

    1775-1786: Weimar

    1774 hat Goethe Erbprinz Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach (1757-1828) in Frankfurt kennen gelernt. Er lädt Goethe an den Hof von Weimar ein und am 7. November 1775 kommt Goethe dort an. Der Herzog stellt ihn in den Staatsdienst ein und bewilligt ihm ein verhältnismäßig hohes Gehalt. Im Juni 1776 beruft der Herzog Goethe als Geheimen Legationsrat in den Geheimen Conseil, die Zentrale der Landesregierung. Drei Jahre später übernimmt Goethe die Weimarer Kriegskommission und die Direktion des Wegebaus. Als Dreißigjähriger wird er zum Geheimen Rat ernannt. 1782 macht ihn der Fürst zum Leiter der Finanzkammer.

    Goethe beginnt eine Liebesbeziehung mit Charlotte von Stein (1742-1827). 1782 zieht Goethe vom berühmten Gartenhaus in das Haus am Frauenplan in Weimar. Im gleichen Jahr wird er von Kaiser Joseph II. in den Adelsstand erhoben. Er entdeckt sein Interesse für Geologie und Mineralogie. In dieser Zeit unternimmt Goethe Reisen nach Düsseldorf, in den Harz, nach Berlin, Frankfurt, ins Elsaß, in die Schweiz, nach Göttingen und Kassel. Auch dienstlich ist er mit dem Herzog unterwegs. Nach Leipzig, Berlin, in den Harz und an andere sächsische Höfe, nach Schlesien, Krakau und Czenstochowa geht die Fahrt. Er pflegt Kontakte zu Wieland und Herder, der auf Goethes Wunsch nach Weimar gerufen worden war.

    In den ersten elf Weimarer Jahren veröffentlicht er kaum etwas. Den "Wilhelm Meister" fängt der Dichter an, "Egmont", "Iphigenie" und "Tasso" werden nicht vollendet. Der "Faust" bleibt ein Fragment. Dafür entstehen einige seiner bekanntesten und berühmtesten Gedichte: "Über allen Gipfeln ist Ruh`", "Grenzen der Menschheit" und "Das Göttliche". Für das Weimarer Liebhabertheater schreibt Goethe zahlreiche Stücke, führt Regie und schauspielert.

    Im Herbst 1779 reist Goethe mit dem Herzog in die Schweiz. Sie machen vier Tage in Goethes Vaterhaus in Frankfurt Station. Auf dem weiteren Weg besucht er auch Friederike Brion in Sesenheim und Lili von Türckheim in Straßburg. Goethe beginnt seine Naturstudien, die alle auf den Menschen bezogen bleiben, so weit sie sich auch mit den Gebieten der Botanik und Zoologie, Mineralogie und Geologie, Farbenlehre und Wolkenkunde beschäftigen. Er liest Linné`s "Philosophie der Botanik" und schreibt dem schwedischen Naturforscher später den größten Einfluss nach Shakespeare und Spinoza zu. Im März 1784 gelingt ihm, wie er glaubt, eine anatomische Entdeckung: das os intermaxillare.

    Im Sommer 1785 begibt sich Goethe zum ersten Mal zur Kur ins böhmische Karlsbad. Bis 1823 wiederholt er die Fahrt dorthin sechszehnmal. Während der zweiten Badereise plant Goethe bereits seine "Flucht" nach Italien. Am 3. September 1786 setzt er den Plan in die Tat um.

    1786-1788: Italien

    Die "Flucht" nach Italien führte Goethe über den Brenner, Trient, den Gardasee nach Verona, dann nach Venedig, Padua und schließlich Rom. Dort findet er Kontakt zu deutschen Künstlern wie Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751-1829), Angelika Kauffmann (1741-1807) und Karl Philipp Moritz (1756-1793). Von Tischbein, der auch Goethe-Tischbein genannt wird, stammt das Gemälde "Goethe in der Campagna" (1786-1788). Vier Monate dauert der erste Aufenthalt in Rom. Dann reist Goethe am 22. Februar 1787 zusammen mit Tischbein weiter nach Neapel. Bald darauf geht die Fahrt mit dem Landschaftsmaler Christoph Heinrich Kniep weiter bis nach Sizilien. Im Mai kehren sie über Neapel nach Rom zurück. Hier beginnt am 7. Juni 1787 Goethes zweiter Aufenthalt in Rom, der fast noch ein Jahr dauert. Er studiert die alte Baukunst und die Bildende Kunst in Museen und Sammlungen. Goethe ist in Italien aber nicht nur Kunstbetrachter, sondern er versucht, sich selbst als Künstler weiterzubilden. Er zeichnet, aquarelliert und lernt das Modellieren. Rund 850 Zeichnungen sind aus seiner italienischen Zeit erhalten.

    Ebenfalls in dieser Zeit schreibt er die "Iphigenie" in Verse um und bringt den "Egmont" zu Ende, arbeitet am "Tasso" und am "Faust". Am 23. April 1788 bricht er mit Christoph Kayser zur Rückreise in den Norden auf. Sie reisen bis Juni über Siena, Florenz, Bologna, Parma und Mailand. Durch die Schweiz und Konstanz, Nürnberg, Erlangen, Bamberg, Coburg. Seine Darstellung der "Italienischen Reise" verfasst er erst dreißig Jahre später. Sie basiert auf dem "Reise-Tagebuch" für Charlotte von Stein und auf Originalbriefen und -notizen.

    1788-1832: Weimar

    1788 kommt Goethe wieder in Weimar an. Der Herzog, nicht böse über die Abwesenheit, gibt Goethes Neigungen nach, entbindet ihn von den Regierungsgeschäften, lässt ihm aber den Sitz im Ministerrat und die Bezüge. Goethe ist nun eine Art Kulturminister mit der Oberaufsicht über die Anstalten über Wissenschaft und Kunst, beispielsweise die Universität Jena. Ab 1791 leitet Goethe dann auch das neue Weimarer Hoftheater, ein Amt, das er bis 1817 inne hat.

    Die Liaison mit Charlotte von Stein wird nicht wieder aufgenommen, sondern Goethe beginnt ein Verhältnis mit Christiane Vulpius.

    Der Minister Goethe verfolgt die Geschehnisse der Französischen Revolution mit Interesse und setzt sich beispielsweise in den "Revolutionsdramen", der Novellensammlung "Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten" (1795) und dem Versepos "Hermann und Dorothea" (1797) damit auseinander. Zunehmend beschäftigt sich Goethe mit den Naturwissenschaften. Sein Interesse gilt der Anatomie, Botanik, Mineralogie, Optik und der Farbentheorie.

    1790 besucht Goethe zum zweiten Mal Italien. Er reist bis Venedig der Herzogenmutter entgegen, doch seine Begeisterung für das Land ist verflogen. 1792 zieht er mit Carl August nach Frankreich, um am Krieg Österreichs und Preußens gegen die Revolutionsregierung teilzunehmen. Das Erlebnis wird in der Schrift "Die Kampagne in Frankreich" erläutert.

    1794 beginnt die Freundschaft mit Friedrich Schiller, die beide zu produktiver Arbeit anregt. 1805 erkranken sowohl Goethe als auch Schiller schwer. Am 9. Mai des gleichen Jahres stirbt Schiller, Goethe, der selbst unter heftigen Nierenkoliken leidet, ist erschüttert. Am 13. April 1806 protokollierte er dann im Tagebuch: "Schluß von Fausts I. teil". Damit erfüllt er noch einen Wunsch Schillers. Im Januar 1795 kommt der erste Band von "Wilhelm Meisters Lehrjahre" heraus.

    Auf der dritten Schweizer Reise 1797 machte Goethe in seiner alten Heimatstadt Frankfurt Station und ließ auch Christiane und seinen Sohn nachkommen, um sie der Mutter vorzustellen. Immerhin hat er vor der Reise seine Familie testamentarisch abgesichert. Diese Reise in die Schweiz war die letzte größere Reise Goethes.

    Goethe hielt sich nun oft in Jena auf. Dort verliebte er sich im Winter 1807 unglücklich in Wilhelmine (Minchen) Herzlieb (1789-1865), Pflegetochter des Buchhändlers Frommann. In diese Zeit fallen die "Sonette", die "Wahlverwandtschaften" und seine "Farbenlehre". Im Oktober 1808 wird Goethe während des Erfurter Fürstenkongresses von Napoleon empfangen. Später erhält er das Kreuz der Ehrenlegion.

    1811 beginnt er mit der Niederschrift seiner Kindheitserinnerungen, die er "Dichtung und Wahrheit" nennt. Dazu fährt er im Sommer 1814 und im Frühjahr 1815 noch einmal in die Gegenden rund um Rhein und Main, in denen er seine Kindheit und Jugend verbracht hat. Auf einer dieser Reisen verliebt er sich in Marianne Jung (1784-1860), die später den Bankier und Geheimen Rat in Frankfurt, Johann Jakob von Willemer, heiratet. Diese Begegnung inspiriert Goethe zu den Liebesgedichten im "West-östlichen Diwan".

    1815 wird das Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach durch Beschluss des Wiener Kongresses Großherzogtum. Goethe bekleidet damit das Amt eines Staatsministers. Im Sommer 1821 fährt Goethe zur Kur nach Marienbad und lernt dort die 17-jährige Ulrike von Levetzow kennen. 1817 verzichtet Goethe auf das Frankfurter Bürgerrecht. Seit dem Wiener Kongress durfte das Vermögen bei Aufgabe des Bürgerrechts ausgeführt werden, ohne den "Zehnten Pfennig" zu zahlen. Goethe entgeht zudem der gerade beschlossenen Einkommenssteuer. Zuvor hat er auch ein Stellenangebot aus Frankfurt ausgeschlagen: Nach dem Tod seines Onkels, des Schöffen Textor, wollte man ihm dort die Stelle eines Ratsherrn anbieten.

    In den letzen beiden Lebensjahrzehnten beschäftigt Goethe die Sekretäre Friedrich Wilhelm Riemer (1774-1845) ab 1814 und ab 1823 Johann Peter Eckermann (1792-1854). Dieser spornt Goethe zur Arbeit am zweiten Teil des "Faust" an, den der Dichter daraufhin zwischen 1825 und 1831 vollendet. Aber er möchte das Werk zu seinen Lebzeiten nicht mehr veröffentlichen, sondern übergibt es seinen Nachlaßverwaltern. In seinem Haus am Frauenplan kümmert sich Schwiegertochter Ottilie bis zu seinem Tod um ihn.

    Am 22. März 1832 stirbt der große deutsche Dichter und wird in der Fürstengruft zu Weimar beigesetzt.

    Daniela Lorenz (Januar 2007)

    Quelle: http://www.goethezeitportal.de/wissen/enzyklopaedie/goethe/goethe-biographie.html


Alfons Simon
1897 - 1975
  • Alfons Simon wollte schon immer Lehrer werden. Nach dem Ersten Weltkrieg fand er auf Umwegen zum Erzieherberuf.

    Er war an verschiedenen bayerischen Volksschulen tätig. Nebenberuflich war er im Individualpsychologischen Verein München um Leonhard Seif aktiv. Nach dem Vorbild der Wiener Schulreform hatte man dort im Oktober 1922 die ersten individualpsychologischen Erziehungsberatungsstellen gegründet. Der Stadtschulrat stellte dazu an drei Münchner Schulen Räume zur Verfügung. Aus diesen Erziehungsberatungsstellen entwickelte sich im Mai 1923 eine Arbeitsgemeinschaft für Erziehung, in der sich ein großer, wachsender Kreis von Lehrern und Erziehern weiterbildete. Alfons Simon war an dieser Institution bis zum Zweiten Weltkrieg tätig. Nationalsozialismus und Krieg zerstörten die jahrelange Aufbauarbeit. Simon hat sich während des Krieges aufs Land zurückzogen.

    1945 wurde er Bürgermeister von Breitbrunn am Ammersee, Lehrer in München und schließlich Dozent am Institut für Lehrerbildung in München-Pasing. Simon war Gründungsmitglied und erster Präsident der Deutschen Gesellschaft für Erziehung in München, Lotzbeckstrasse 2.

    Alfons Simon verfasste zahlreiche Bücher zur Schulpraxis und hielt Vorträge zum Thema Schule. Angesichts der verbreiteten Erziehungsnöte widmete er sich der Erforschung neuer Methoden zu deren Überwindung.

    1925 Schulkinderpsychologie (zusammen mit Kurt Seelmann) in: Internationalen Zeitschrift für Individualpsychologie III. Jahrgang Juni 1925 Nr. 4

    1950 Verstehen und Helfen

    1952 Maxi, unser Negerbub

    1955 Wir hören den Schulfunk. Erfahrungen aus der Schule für die Schule (Hrsg.)

    1958 Helga

    1958 Was fangen wir mit dem Jähzornigen an? In: Kindernöte. Dritte Folge

    1962 Der Elternabend einmal ganz anders (zusammen mit Josef Scherl)

    1965 Partnerschaft im Unterricht

    Als Autor, Vortragender und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Erziehung galt sein ganzes Bemühen dem Verstehen und Helfen junger Menschen. Nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges war es ihm wichtig, dem Lehrer seine gesellschaftliche Bedeutung wieder zu vermitteln und dass die Schule tatsächlich ein Abbild des Lebens ist: „in ihr leben, wie draussen im grossen Leben, friedfertige und widerspenstige, einfache und schwierige Gemüter, leicht zugängliche und verschlossene Seelen; mit dem Unterschied, dass der Lehrer, wie sonst niemand und nirgends, die Möglichkeit hat, alle Kinder täglich erleben und üben zu lassen, wie man mit einem Widerstrebenden, mit einem Schüchternen, einem Grosssprecher, einem Hilfsbedürftigen umgeht und wie täglich und manchmal stündlich ein Ausgleich zu finden ist, wenn gleichberechtigte Wünsche einander entgegenstehen.“ (Alfons Simon in: Maxi, unser Negerbub, S. 32)

    Bei Simon ist die von Alfred Adler geforderte Einheit von stofflichem und erzieherischen Bemühen vor allem in der Praxis in einer Weise verflochten, die an eine kunstvolle Komposition erinnert. Bei ihm scheint der Unterricht nie ohne Erziehung und diese nie ohne Zusammenhang mit dem Unterricht zu geschehen.

    Das Selbstwertgefühl stärken

    Nach Simon hat der Lehrer drei Aufgaben im Unterricht: Erstens muss er die Kinder erkennen, die in ihrer Selbsteinschätzung irre geleitet worden sind. Zweitens muss er allen Kindern wieder Arbeitserfolge und ihre wohltuende Wirkung erleben lassen. Drittens muss er die Kinder lehren, diese Arbeitserfolge richtig einzuschätzen und sie zu sich selbst, ihrem eigenen Werden und ihrer Zukunft richtig in Beziehung zu setzen:

    «Gründliche psychologische Erfahrung hat zur Gewißheit darüber geführt, dass das fertig Übernommene zwar schnell ins Bewußtsein eingeht, aber auch schnell wieder daraus verschwindet. Nur das Erworbene, durch Arbeit, Irrtum, fehlgeschlagene Versuche, durch „Fehler“ Erworbene haftet; denn es wurde durch persönliche Bemühung erst wirklich persönliches Eigentum.

    Nur die Überwindung anfänglicher Schwierigkeiten bringt die Erfolgsgefühle, die zum Aufbau eines gesunden Selbstvertrauens unentbehrlich sind; denn Mut ist die Erinnerung an vergangene Errungenschaften». (Alfons Simon)

    «Es gibt kaum eine reinere Freude, als die, die sich nach einer gut getanen Arbeit einstellt. Man fühlt sich in seinem ganzen Wesen erhoben. Wir haben ein Hindernis überwunden und sind damit ein Stück voran gekommen. Wir erleben unser eigenes Wachstum und das strahlt Kräfte aus, die den ganzen Menschen erfüllen. Dieses Wachstumserlebnis ist es, das Kinder in ihren tiefsten Schichten erfasst: in ihrem Selbstwertgefühl, ihrer Selbstachtung, in ihrem Selbstbewußtsein».

    «Unsere wichtigste Erziehungsaufgabe ist, unseren Schülern diese doppelte, ineinander verschränkte Arbeits- und Wachstumsfreude erleben zu lassen, jedem einzelnen Kind zu helfen, sein Wachstum zu spüren und auf solche Weise seinen eigenen Wert zu entdecken». (Alfons Simon, Verstehen und Helfen – die Aufgaben der Schule, 1950).

    Erziehung ist «Verstehen und Helfen»

    Für Simon, als individualpsychologischer Pädagoge, stand die Beurteilung der Schülerpersönlichkeit und das Erkennen und Korrigieren von Fehlhaltungen im Vordergrund. Statt Verbot und Strafe, die er als störend empfand, förderte er das Verständnis für die Fehlhaltungen der Schüler und die dahinter verborgenen Lebensleitlinien:

    „Der Lehrer sieht in der Fehlhandlung oder Fehlhaltung des Kindes nicht den Ausfluss seines ‚bösen oder schuldbar schwachen Willens‘ - er erkennt die früheste und tiefste Ursache der Erziehungsschwierigkeit in einer Störung der natürlichen kindlichen Entwicklung.

    Die jedem gesunden Kinde eingeborenen Kräfte, die zur Anpassung an die vorgefundenen Lebensumstände und zur Einordnung drängen, sind in falsche Bahnen gelenkt, gestört, unterdrückt worden; - er betrachtet es als seine Erzieheraufgabe, dem Kinde die Möglichkeit zu geben, die versäumte Entwicklung nachzuholen; - er weiss, dass das nicht mit Worten, auch nicht mit äusseren Mitteln geschehen kann, dass es dafür nur einen Weg gibt: das Kind andere Erfahrungen machen zu lassen.

    Das Kind wehrt zunächst ab; es hat sein Vertrauen auch in dieser Hinsicht verloren; - es versucht dann zaghaft; - es erlebt kleine Erfolge und die damit verbundenen Erfolgsfreuden; - es entdeckt in sich Kräfte und Fähigkeiten, es entdeckt sich und seinen Wert. Das Wort des Lehrers begleitet diese Selbstentdeckung; es ordnet, wo das Kind sich noch nicht allein zurechtfindet; er bestätigt, stützt und bestärkt, wo das Kind noch zweifelt.

    Dieser Prozess der Zurückgewinnung des Selbstvertrauens braucht vorsichtige, behutsam-zurückhaltende Führung. Der Lehrer muss wissen, dass er es dabei mit dem Verletzbarsten im Menschen, seinem Selbstgefühl, zu tun hat.“ (Alfons Simon, Verstehen und Helfen, 1950)

    https://de.wikipedia.org/wiki/Alfons_Simon


Ignaz Semmelweis
1818 - 1865
  • Viele haben noch nie etwas von ihm gehört, doch die meisten Familien heute haben ihm viel zu verdanken. Er wurde in Buda (heute ein Teil von Budapest, Ungarn) geboren. 1844 promovierte er im Fach Medizin an der Universität Wien. 1846 wurde er Assistent eines Professors an der I. Geburtshilflichen Universitätsklinik im Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien. Dort sah er sich mit einer erschreckenden Tatsache konfrontiert: Über 13 Prozent aller Mütter starben nach der Geburt an Kindbettfieber.

    Es gab die unterschiedlichsten Theorien für die Ursache dieser Krankheit, doch keiner konnte das Rätsel wirklich lösen. Alle Versuche, die Sterberate zu senken, waren vergeblich. Semmelweis ließ der Anblick der langsam und qualvoll sterbenden Mütter nicht los. Er war entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen und eine Lösung zu finden.

    In dem Krankenhaus, an dem Semmelweis arbeitete, gab es zwei Abteilungen für Geburtshilfe. Seltsamerweise lag die Sterberate bei den Müttern in der ersten Abteilung höher als in der zweiten. Die beiden Abteilungen unterschieden sich lediglich darin, dass in der ersten Medizinstudenten ausgebildet wurden und in der zweiten Hebammen. Wie kam es also zu den voneinander abweichenden Sterberaten? Semmelweis schloss systematisch einen möglichen Grund nach dem anderen aus. Doch er kam der wahren Ursache einfach nicht auf die Spur.

    Anfang 1847 stieß Semmelweis auf den entscheidenden Hinweis. Sein Kollege und Freund Jakob Kolletschka war beim Sezieren einer Leiche verletzt worden und daraufhin an einer Blutvergiftung gestorben. Als Semmelweis seinen Autopsiebericht durchging, fielen ihm Parallelen zum Kindbettfieber auf. Er schloss daraus, dass sich die schwangeren Frauen womöglich durch „Leichengift“ infiziert hatten  und deswegen an Kindbettfieber erkrankt waren. Ärzte und Medizinstudenten gingen oft direkt nach einer Autopsie zu den werdenden Müttern, um sie zu untersuchen oder Geburtshilfe zu leisten. Dadurch waren sie unwissentlich zu Überträgern der Krankheit geworden! Da Hebammenschülerinnen keine Autopsien durchführten, war die Sterberate in der zweiten Abteilung niedriger.

    Umgehend stellte Semmelweis strenge Vorschriften zum Händewaschen auf. Dazu gehörte das Desinfizieren der Hände mit einer Chlorkalklösung, bevor man Schwangere untersuchte. Das war ein voller Erfolg: Die Sterberate fiel von 18,27 Prozent im April auf 0,19 Prozent am Jahresende.

    „Meine Lehre ist dazu da, um den Schrecken aus den Gebärhäusern zu verbannen, und um dem Gatten die Gattin, dem Kinde die Mutter zu erhalten“ (Ignaz Semmelweis)

    Nicht jeder beglückwünschte Semmelweis zu diesem Durchbruch. So stellten seine Forschungsergebnisse Theorien zur Krankheitsursache infrage, die sein Vorgesetzter vertrat. Dieser war außerdem nicht besonders angetan von Semmelweis’ Hartnäckigkeit. Semmelweis verlor schließlich seinen Posten in Wien und kehrte nach Ungarn zurück. Er wurde Leiter der Geburtshilflichen Abteilung im St. Rochus-Hospital in Pest (heute ein Teil von Budapest). Dank seiner Methoden sank dort das Risiko, an Kindbettfieber zu sterben, auf unter 1 Prozent.

    1861 veröffentlichte Semmelweis sein Lebenswerk: Die Aetiologie, der Begriff und die Prophylaxis des Kindbettfiebers. Bedauerlicherweise wurde erst Jahre später erkannt, wie wertvoll seine Arbeit war. Bis dahin starben leider Unzählige einen viel zu frühen Tod.

     Semmelweis Hygieneschulung
    Ignaz Semmelweis setzte bei seinen Mitarbeitern Hygienemaßnahmen durch (Gemälde von Robert Thom)

    Man würdigte Semmelweis schließlich als einen der Väter der modernen antiseptischen Maßnahmen. Unter anderem verstand man dank seines Beitrags, dass Mikroorganismen Krankheiten auslösen können. Semmelweis spielte auch eine Rolle in der Geschichte der Keimtheorie, die als „der wichtigste Beitrag zur Medizinwissenschaft und -praxis“ bezeichnet wurde. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass Gott dem Volk Israel schon vor über 3 000 Jahren durch das Gesetz Mose klare Anweisungen für den Umgang mit Leichen gab.

    KURZINFO
    • Kindbettfieber war für die Frauen im Europa des 19. Jahrhunderts eine Geißel; die Sterberate lag bei bis zu 30 Prozent
    • Schon 1674 hatte man Mikroben durch das Mikroskop beobachtet, doch war man sich über ihre Gefahren noch nicht völlig im Klaren. Bei Ärzten war es gängige Praxis, nach einer Autopsie Geburtshilfe zu leisten, ohne sich vorher die Hände zu desinfizieren
    • Semmelweis führte das Händewaschen in den medizinischen Alltag ein und rettete so unzählige Menschenleben

    Quelle: https://www.jw.org/de/bibliothek/zeitschriften/erwachet-nr3-2016-juni/ignaz-semmelweis-kindbettfieber-keimtheorie/


Hypatia von Alexandria
ca. 470 - 455 - 415
  • Griechische Mathematikerin, Astronomin und Philosophin: An einem Tag im März, kurz vor Ostern des Jahres 415, wird in Alexandria die Gelehrte Hypatia von einem Trupp christlicher Mönche auf der Straße ergriffen und unter Schlägen in die Kirche Kaisarion geschleppt. Dort hacken ihr die Mönche mit Ziegelscherben (nach anderen Quellen: mit scharfen Muschelschalen) bei lebendigem Leibe das Fleisch vom Körper und bringen schließlich ihren blutüberströmten, zerfetzten und zerstückelten Leichnam an den heute nicht mehr nachweisbaren Ort Kinaron, wo er verbrannt wird.

    Das grausige Ende einer der bedeutendsten Gelehrten der griechisch-römischen Antike – und nach Aussagen von HistorikerInnen der bis zu Marie Curie berühmtesten Wissenschaftlerin aller Zeiten – ist der Nachwelt durch Zeitzeugenberichte überliefert. Die Tatsache, dass ihr Name und ihr Wirken über Jahrhunderte jedoch nahezu vergessen waren, bis sie von Romanschriftstellern des 19. Jahrhunderts »wiederentdeckt« wurde, wirft Fragen auf: Warum und in wessen Interesse wurde Hypatia nach ihrem Tod ignoriert und »vergessen«? Wieso konnten nicht wenigstens ihre Schriften gerettet und bewahrt werden – ist das doch bei nahezu allen, sogar deutlich früher lebenden (männlichen) Denkern gelungen. Auch das Wenige, das von ihr überliefert ist, ist lächerlich wenig im Vergleich zu anderen antiken Denkern und Gelehrten.

    Hypatia original

    Dieser Mangel an Quellen und belegbaren Fakten lädt dazu ein, über Hypatia als Person, als Wissenschaftlerin und Philosophin zu spekulieren und je nach Weltanschauung der Autorin oder des Autors zu bewerten oder für eigene Positionen zu vereinnahmen.

     Rafael La Scuola di Atene

    Alexandria wurde 331 vor unserer Zeitrechnung durch Alexander den Großen gegründet und planmäßig angelegt. Sie war eine prosperierende, wohlhabende Stadt, eine Weltstadt ersten Ranges. Schon bald nach der Stadtgründung waren eine Universität, das Museion, und die sagenhafte Bibliothek errichtet worden. Im Museion wurden, anders als an den Akademien des griechischen Mutterlandes, nicht nur Philosophie, Philologie und andere Geisteswissenschaften gelehrt, sondern auch Naturwissenschaften. Zudem wurden Forschungen auf dem Gebiet der Technik gefördert. Ihre Blüte erlebte diese Bildungs- und Forschungsstätte während der Zeit der ptolemäischen Herrscher, als sich hier die berühmtesten und namhaftesten Gelehrten versammelten. Am Museion wurden die ersten Leichen seziert, unser Kalender »erfunden«, geometrische Berechnungen angestellt, die Grundlagen des Buch- und Bibliothekswesens entwickelt, Homers Ilias für die Nachwelt kopiert, das Alte Testament ins Griechische übersetzt. Es wurde bewiesen, dass die Erde rund ist und ihr Umfang sowie die Entfernung zum Mond berechnet. Aber auch nach der Eroberung Ägyptens durch die Römer um 30 v.u.Z. blieb Alexandria Anziehungspunkt für die bedeutendsten Mediziner, Philosophen, Philologen, Mathematiker, Geographen und Astronomen ihrer Zeit, noch vor Athen, Rom oder gar Konstantinopel.

    Zu der Zeit, als Hypatia in Alexandria lebt, gehört die Stadt noch immer zu den glanzvollen Metropolen der damaligen Welt, wenn auch das Museion seine herausragende Stellung mittlerweile verloren hat. Der größte Teil der alexandrinischen Bevölkerung setzt sich zusammen aus Griechen, die meist noch ihrer hellenischen Kultur und Religion anhängen, den Juden und den immer zahlreicher werdenden Christen. In all diesen Bevölkerungsgruppen zählen Frauen nicht viel; sie gehören zum Besitz der Männer und dienen bestenfalls als Gefäß für deren Kinder. Um so überraschender ist, dass sich – die unverheiratet bleibende – Hypatia an die Spitze der Gelehrten des Museions setzen kann.

    Theon, Hypatias Vater, ist Grieche und lehrt als Mathematiker und Astronom am Museion. Über Hypatias Mutter ist nichts bekannt, außer dass sie früh starb. Theon lässt seiner Tochter die beste Ausbildung angedeihen. Möglicherweise reist sie zu Studienzwecken sogar nach Athen. Nach ihrer Rückkehr lehrt sie Mathematik, Astronomie, Philosophie und Mechanik. Obgleich es mittlerweile eigene Schulen für Hellenen, Juden und Christen gibt, unterrichtet sie Anhänger (allerdings keine Anhängerinnen) sämtlicher Religionen. Zu ihren Schülern und Bewunderern gehört auch Synesios, der spätere Bischof von Kyrene.

    Neben ihrer Lehrtätigkeit verfasst Hypatia wissenschaftliche Werke. Das bedeutendste unter ihnen ist ein 13-bändiger Kommentar zur Aritmetica des Diophantos. Diophantos, der »Vater der Algebra«, hatte die Gleichungen mit ganzzahligen Lösungen entwickelt und arbeitete mit quadratischen Gleichungen. Erst ZahlentheoretikerInnen der Neuzeit haben diesem etwas Gleichwertiges beifügen können. Indem nun Hypatia Alternativlösungen vorschlägt, neue Problemstellungen formuliert und die diophantische Zahlentheorie kommentiert, zeigt sich ihre hohe wissenschaftliche Qualifikation. In einer weiteren, achtbändigen Abhandlung beschäftigt sich Hypatia mit den Kegelschnitten des Apollonius von Perga. Sie ist fasziniert von der Ellipse – eine Figur, die sich ergibt, wenn eine Ebene durch einen Kegel gelegt wird – und versucht damit, die unregelmäßigen Planetenumlaufbahnen zu erklären. Nach ihrem Tod geraten ihre Studien zu den konischen Kurven in Vergessenheit, bis 1200 Jahre nach ihr Johannes Kepler herausfindet, dass eine dieser Kurven die Bewegung der Planeten beschreibt.

    Außerdem unterstützt Hypatia ihren Vater bei seinen Arbeiten. Theon hatte Euklids Elemente der Geometrie revidiert und verbessert; an der Revision ist Hypatia wahrscheinlich beteiligt. Diese bearbeitete Fassung wird noch heute benutzt. Zudem ist sie Mitautorin einer seiner Abhandlungen über Euklid und schreibt mindestens einen Band der Werke Theons über Ptolemäus, der um das Jahr 150 alles mathematische und astronomische Wissen seiner Zeit systematisch zusammengefasst hatte.

     hypatia 2. lehrt im Museum

    Hypatias Diagramme zu den Bewegungen der Himmelskörper könnten ein Teil dieses Ptolemäus-Werks sein oder aber eine selbstständige Arbeit. Zumindest übernimmt sie Ptolemäus‘ geozentrisches Weltbild nicht unhinterfragt – also die Auffassung, dass sich Sonne, Mond und Sterne um eine ruhende Erde drehen – welches bis ins 16. Jahrhundert die einzig akzeptierte Lehrmeinung bleibt. Stattdessen beschäftigt sie sich auch mit dem heliozentrischen Weltbild des griechischen Mathematikers Aristarchos. Aber ebenso wenig wie Aristarchos mehr als 600 Jahre zuvor kann sie oder können Kopernikus, Kepler und Galilei mehr als 1000 Jahre nach ihr unwidersprochen die Theorie verbreiten, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Das ist aus religiösen Gründen nicht opportun, und es droht mindestens ein Strafverfahren wegen Gotteslästerung. Erst 1822 erlaubt die päpstliche Glaubenskongregation grundsätzlich die Verbreitung des heliozentrischen Weltbilds.

    Ihre Briefe an Synesios zeigen Hypatias Interesse für Mechanik: Sie enthalten zahlreiche Zeichnungen für verschiedene wissenschaftliche Instrumente, unter anderem für Astrolabien. Mit dieser Apparatur lassen sich Planeten- und Sonnenpositionen bestimmen sowie die Tierkreiszeichen und Aszendenten. Zwar ist dieses Gerät im Prinzip bereits bekannt, aber mit ihrer Weiterentwicklung, die aus zwei drehbaren Scheiben besteht, lassen sich Aufgaben der sphärischen Astronomie bearbeiten. Ferner werden Hypatia die Entwicklung eines Wasserstandsmessers, eines Wasserdestillierapparates und eines Hydrometers zur Bestimmung des spezifischen Gewichts von Flüssigkeiten zugeschrieben.

    Weitaus bekannter und zu ihrer Zeit populärer als ihre naturwissenschaftlichen Arbeiten sind Hypatias philosophische Tätigkeiten. Sie wird auf den Lehrstuhl für platonische Philosophie berufen und erläutert in ihren Vorlesungen die Werke der bedeutendsten antiken Denker. Gerühmt wird ihre besondere Gabe, mit den Menschen zu sprechen und ihnen Wissen zu vermitteln. Von vielen ihrer ZeitgenossInnen wird Hypatia bewundert und verehrt. Ihr jüdischer Schüler Hesychius schreibt über sie: »Im Philosophentalar zog sie durch die Innenstadt und sprach für alle, die zuhören wollten, öffentlich über die Lehren des Platon oder des Aristoteles oder irgendeines anderen Philosophen […] Die Magistraten pflegten für die Verwaltung der Staatsgeschäfte zuerst ihren Rat einzuholen.«

    In der Tat verkehrt Hypatia mit den politisch Mächtigen. Nicht nur ist sie Wortführerin der hellenischen Gemeinde und erteilt wie selbstverständlich dem Magistrat Ratschläge; sie ist auch Orestes freundschaftlich verbunden, dem römischen Statthalter in Ägypten und damit ranghöchsten Staatsvertreter. Der ist zwar Christ, aber tolerant gegenüber Anders- und Nichtgläubigen. Das bringt ihn in Gegnerschaft zu Kyrill, seit 412 Bischof von Alexandria und fanatischer Christ. Dieser will mit allen Mitteln das »rechtgläubige« Christentum verbreiten; auf seiner Liste stehen Juden, Heiden, »Pseudo-Christen« – wie nach seiner Meinung Orestes – und die verschiedenen christlichen Sekten. Mittels Intrigen und Gewalt schaltet er die unerwünschten Sekten aus oder bringt sie »auf Linie«. Auf seine Kappe gehen auch ein Mordversuch an Orestes sowie ein Pogrom an der jüdischen Gemeinde. Tausende von Jüdinnen und Juden werden aus der Stadt gejagt, ihre Häuser beschlagnahmt oder angezündet und ihre Synagogen zu Kirchen umgewandelt.

    Zu Hilfe ist ihm der Mönchsorden der Parabalani, eine radikale, intolerante, asketische, größtenteils analphabetische Gemeinschaft. Ihre Aufgabe ist zuvörderst die Pflege der von Typhus, Cholera, Fleckfieber und anderen Seuchen heimgesuchten EinwohnerInnen der Stadt. Sie verstehen sich aber auch als Wortführer der Armen, für die sich sonst niemand interessiert, und schaffen es immer wieder, diese gegen Missliebige – vor allem Wohlhabende und Gebildete – aufzuwiegeln. Mit Fürsorge und Gewalt missionieren sie in ihren braunen Kutten für das Christentum: Wissen zählt nicht, sondern nur der Glaube. Hier ist Platz für die Armen, die Ungebildeten, die sozial Verachteten.

     hypatia 3 als Lehrerin

    Aber nur begrenzt für Frauen, und für eine Frau wie Hypatia schon gar nicht. Als Griechin, als Anhängerin des wissenschaftlichen Rationalismus und aufklärerischen Bildungsguts, die sich weigert, ihre Ideale aufzugeben und Christin zu werden, befindet sie sich in zunehmender Gefahr. Für Kyrill ist diese unabhängige, gebildete, eigenständig denkende und handelnde Frau (!), die sich ohne Scheu in der Öffentlichkeit und unter Männern bewegt und mit ihrer Philosophie und Wissenschaft »heidnische Propaganda« betreibt, eine unerträgliche Provokation. Mit ihrer Ermordung durch die Parabalani werden mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Der hellenischen Kultur und damit der griechischen Gemeinschaft wird ein endgültiger Schlag versetzt. Viele Gelehrte verlassen die Stadt; Alexandria verliert seine Bedeutung als ein führendes Zentrum der Bildung und Wissenschaft. Die Verkündung von Platons Philosophie findet mit dem Tod Hypatias nicht nur in Alexandria, sondern im ganzen Römischen Reich ihr Ende. Kyrill kann den innenpolitischen Machtkampf, auch um die weltliche Macht, für sich entscheiden: Orestes quittiert den Dienst und verlässt ebenfalls die Stadt. Der Frauenhass der christlichen Würdenträger bricht sich erstmals Bahn: Hypatia wird von HistorikerInnen als erstes Opfer des Glaubenswahns gesehen, der sich zu den späteren Hexenverfolgungen steigert.

    Der Mord an Hypatia bleibt ungesühnt. Untersuchungen darüber, inwieweit er selbst in die Ermordung Hypatias verwickelt ist, weiß Kyrill durch Bestechung zu verhindern. Er lebt noch bis 444 und wird 1882 heiliggesprochen. Das reichhaltige Wissen der alten GriechInnen überlebt teilweise in Byzanz und später durch die islamischen Gelehrten. Der römisch-christliche Teil der Welt versinkt für die nächsten 1000 Jahre im wissensfeindlichen »finsteren« Mittelalter.

    Verfasserin: Christine Schmidt

    Zitate
    • Verteidige dein Recht zu denken. Denken und sich zu irren ist besser, als nicht zu denken. [Hypatia zugeschrieben]
    • Ich glaube an die Philosophie. [Hypatia zugeschrieben]
    • In Alexandria lebte eine Frau mit Namen Hypatia, die eine Tochter des Philosophen Theon war. Sie verfügte über eine so herausragende Bildung, dass sie sämtliche Philosophen ihrer Zeit ausstach. Ihre Lehrtätigkeit brachte sie an die Spitze der platonischen Schule, die sich von Plotin herleitet, und sie unterrichtete jedermann in allen Wissensgebieten, der danach verlangte. Den Behörden gegenüber trat sie freimütig und mit dem Selbstbewusstsein auf, das ihre Bildung ihr verlieh, und sie zeigte auch keine Scheu, sich in der Gesellschaft von Männern zu bewegen. Wegen ihrer außergewöhnlichen Intelligenz und Charakterstärke begegnete ihr nämlich jeder mit Ehrfurcht und Bewunderung. [Sokrates Scholastikos (ca. 380  – 440)]
    • Darf ich dich sehen, hören, huldige ich kniend, das Sternenhaus vor Augen, wo die Jungfrau wohnt. Denn auf zum Himmel weist dein Handeln und die Kunst, mit der du sprichst, erhabene Hypatia, du strahlendes Gestirn geistreicher Wissenschaft! [Palladas (um 400)]
    Links

    Deakin, Michael (2014): Hypatia | Biography – Egyptian mathematician, astronomer, and philosopher. Eintrag in der Encyclopedia Britannica. Online verfügbar unter http://www.britannica.com/EBchecked/topic/279463/Hypatia, abgerufen am 30.03.2015.

    Frauen-Informatik-Geschichte: Hypatia von Alexandria. Online verfügbar unter http://www.frauen-informatik-geschichte.de/index.php?id=24, abgerufen am 30.03.2015.

    Hinke, Bella: Hypatia von Alexandria. Online verfügbar unter http://www.kaiserin.de/hypatia-von-alexandria.php, abgerufen am 30.03.2015.

    Internet Movie Database: Agora – Die Säulen des Himmels (2009). Historisches Drama. Online verfügbar unter http://www.imdb.com/title/tt1186830/, abgerufen am 31.03.2015.

    Oregon State University eCampus: Great Philosophers: Hypatia. Online verfügbar unter http://oregonstate.edu/instruct/phl201/modules/Philosophers/Hypatia/hypatia.html, abgerufen am 30.03.2015.

    Wikipedia: Hypatia. Text wurde in Liste der exzellenten Wikipedia-Artikel aufgenommen. Online verfügbar unter http://de.wikipedia.org/w/index.php?oldid=139599400, abgerufen am 30.03.2015.

    Wolschner, Klaus: 415 – Mord an Hypatia. Online verfügbar unter http://www.medien-gesellschaft.de/html/hypatia.html, abgerufen am 30.03.2015.

    WWU Münster, Fachbereich Physik: Hypatia von Alexandria. Online verfügbar unter http://www.uni-muenster.de/Physik/Studieninteressierte/Frauen/geschichte/hypatia_von_alexandria.html, abgerufen am 30.03.2015.

    Zielinski, Sarah: Hypatia, Ancient Alexandria’s Great Female Scholar. Hg. v. smithsonian.com. Online verfügbar unter http://www.smithsonianmag.com/womens-history/hypatia-ancient-alexandrias-great-female-scholar-10942888/?no-ist, abgerufen am 30.03.2015.

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    Literatur & Quellen

    Alic, Margaret (1987): Hypatias Töchter. Der verleugnete Anteil der Frauen an der Naturwissenschaft. (=Hypatia's heritage) Aus dem Englischen von Rita Peterli. Zürich. Unionsverl. ISBN 3-293-00116-5.

    Quelle : https://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/hypatia/


Menzius
ca. 370 - 290
  • Menzius entwickelte seine Philosophie auf der Grundlage der Gedanken des Konfuzius. Aber in der zentralen Frage nach der Natur (xing) des Menschen brachte Menzius den Konfuzianismus einen großen Schritt nach vorne. Während Konfuzius nur erklärt, dass sich die Menschen von Natur aus nahe stehen, erklärt Menzius, dass die Natur des Menschen gut sei (Mencius, 6 A:2):

    „Gaozi sagte: „Die Natur des Menschen ist wie wirbelndes Wasser. Wenn man eine Ausgang nach Osten in den Teich macht, wird das Wasser nach Osten fließen. Wenn der Ausgang im Westen ist, wird es nach Westen fließen. Die Natur des Menschen ist weder auf gut oder schlecht festgelegt, wie das  Wasser gegenüber Ost und West.“

    Menzius sagte: „Wasser ist tatsächlich gegenüber Ost und West nicht festgelegt, aber ist es gegenüber hoch und tief festgelegt? Die Natur des Menschen ist natürlicherweise gut, so wie das Wasser nach unten fließt. Es gibt keinen Menschen ohne diese gute Natur; sowie es kein Wasser gibt, das nicht nach unten fließt. Du kannst in das Wasser schlagen, so dass es hoch über deinen Kopf spritzt und durch Eindämmen und Leiten kann es aufwärts gezwungen werden. Ist das die Natur des Wassers? Es sind die erzwungenen Umstände, die es dazu bringen. Man kann Menschen dazu bringen Böses zu tun, weil man seine Natur ähnlich behandelt.“ (Chan, S. 52)

    Menzius formulierte als erster die Idee der guten Natur des Menschen und dies sollte die Grundlage seiner Philosophie werden. Er folgert daraus, dass es angeborene Anlagen, nämlich angeborene Fähigkeiten (liang neng) und angeborenes Wissen (liang zhi) geben muss (Mencius 7 A:15):

    „Menzius sprach: Die angeborenen Fähigkeiten des Menschen sind das, was sie können, ohne es gelernt zu haben. Das angeborenes Wissen der Menschen ist das, was sie wissen, ohne nachzudenken. Jedes Kind weiß genug, um seine Eltern zu lieben und wenn es größer geworden ist, weiß es genug um seine älteren Bruder zu achten. Die Liebe zu den Eltern ist echte Mitmenschlichkeit und die Achtung für die Älteren ist das wirklich Rechte.“ (Bary de, S. 91)

    Mitmenschlichkeit und das Rechte

    Aus der angeborenen Liebe zu den Eltern folgt, dass auch die Mitmenschlichkeit (ren) eine angeborene Qualität ist. Damit wird die konfuzianische Moral zur allgemeinen Menschheitsmoral. Der Ordnung im Inneren des Menschen entspricht die Ordnung zwischen den Menschen. Die Mitmenschlichkeit ist zwar angeboren, kann aber durchaus verloren gehen. Daraus entsteht ein mehr oder weniger an Moral. Der Mensch ist somit aufgefordert, sich um moralische Selbstvervollkommnung zu bemühen und so das verlorene Angeborene zurück zu erlangen.

    Zur Regelung der Praxis der Mitmenschlichkeit rückt Menzius als erster das Rechte (yi) in den Vordergrund. Unter dem Rechten kann man das verstehen, was sich gehört. Bei Menzius drückt es sich vor allem in der Hierarchisierung der Beziehungen der Menschen untereinander aus (Mencius 3 A:4):

    „Bezüglich des Weges der Menschen; wenn sie gut ernährt, warm gekleidet und angenehm untergebracht, aber ohne Erziehung sind, dann werden sie fast wie Tiere. Der Weise (Herrscher Shun) machte sich darüber sorgen und machte Xie zu seinem Minister für Erziehung und beauftragte ihn, die Menschen über die menschlichen Beziehungen zu unterrichten, die da sind: Zwischen Vater und Sohn, geprägt durch Zuneigung; zwischen Herrscher und Minister [Untertan], geprägt durch das Rechte; zwischen Mann und Frau, geprägt durch klare Rollenverteilung; zwischen Alt und Jung, geprägt durch richtige Ordnung und zwischen Freund und Freund, geprägt durch Treue.“ (Chan, S. 69 f)

    Menzius als Propagandist konfuzianischer Gesellschaftsordnung

    Menzius folgert aus der Forderung nach Mitmenschlichkeit und dem Rechten das Ideal einer „humanen Regierung (renzheng)“. Als Vorbild für die „humane Regierung“ diente ihm die alte Klassengesellschaft mit einem Weisen als wahrem König. Der wahre König hat sich in höchstem Maße moralisch vervollkommnet und  wird als „Vater und Mutter des Volkes“ gedacht. Er enthält sich der Willkür und ist maßvoll. Die Sorge um sein Volk ist seine Pflicht und ein Ausdruck der Mitmenschlichkeit und dem Rechten. So richtet sich Menzius auch in seinem Werk in großem Maße an den Herrschenden, um zu erläutern, wie ein wahrer König zu regieren hat. (Mencius 2 A:5):

    „Menzius sagt: Wenn der Herrscher die Würdigen ehrt und die Fähigen anstellt, so dass die Ämter mit den Besten besetzt sind, dann werden Gelehrte aus aller Welt mit Freude an seinen Hof wirken. Wenn er in der Stadt eine Pacht erhebt, aber keine Steuer auf die Waren, oder wenn er zuverlässige Regeln zur Geltung bringt, aber keine Pacht erhebt, dann wird es Händler aus der ganzen Welt eine Freude sein, ihre Waren in der Stadt zu lagern. Wenn es an seinen Grenzen Kontrollen aber keine Steuern gibt, dann werden Reisende aus aller Welt mit Freude auf seinen Straßen reisen. Wenn die Bauern ihre Hilfe zur Bewirtschaftung der Gemeinschaftsfelder geben müssen, aber dafür keine Steuern zahlen, werden sie mit Freude sein Land bewirtschaften.  Wenn es keine Strafgeld für den Müßigen oder die Familie, die es nicht schafft, eine bestimmte Menge an Stoff herzustellen gibt, dann werden Menschen aus aller Welt mit Freude seine Untertanen sein. Wenn ein Herrscher diese fünf Punkte verwirklichen kann, werden die Menschen in den Nachbarstaaten zu ihm wie zu einen Vater aufschauen. So wird solch ein Herrscher in der Welt keine Feinde haben und ohne Feinde in der Welt wird er ein Beamter im Namen des Himmels sein. Es gab niemals solch eine Person, welche nicht ein wahrer König des Reiches wurde.“ (Chan, S. 64 f)

    Wenn der wahre König alt wird, muss er vor seinem Tod einen jüngeren Weisen auswählen. Diesen präsentiert er dem Himmel und wenn der König stirbt, wird der jüngere Weise neuer König. „Aber der Wille des Himmels ist unergründlich, nur den Willen der Menschen kann man kennen. Wenn daher die Menschen sich dem jungen Weisen zuwenden ist es ein Zeichen, dass der Himmel ihm das Königreich gegeben hat. In anderen Worten, ihn dem Himmel präsentieren bedeutet eigentlich, ihn den Menschen präsentieren.“ (Fung, S. 117) Damit hebt Menzius in seiner Lehre die Bedeutung des Volkes gegenüber des Herrschers deutlich hervor.

    Die Hervorhebung des Volkes

    Wenn alle Menschen von Natur aus gut sind und alle Menschen potentiell moralisch sind, kann jeder durch moralische Vervollkommnung ein Weiser werden. Für Menzius werden die Menschen dadurch zum wichtigsten Faktor des Regierens (Mencius 7 B:14):

    „Menzius sagte: Das Volk ist das wertvollste im Staat, die Geister der Erde und des Getreides folgen an zweiter Stelle; am leichtesten wiegt der Fürst.“ (Schwarz, S. 123)

    Trotzdem ist Volksherrschaft keine Vorstellung des Menzius. Der Herrscher, der unmittelbar vom Himmel das Mandat zum Herrschen bekommt, ist notwendig. Jedoch muss er eine  „Humane Regierung“ ausüben und das schließt die Wertschätzung des Volkes ein (Mencius 4 A:9):

    „Dies ist der Weg ein Königreich zu gewinnen: Gewinne die Menschen und du gewinnst das Königreich. Hier ist der Weg, die Menschen zu gewinnen: Gewinne ihre Herzen und du gewinnst die Menschen. Hier ist der Weg ihre Herzen zu gewinnen: Gib ihnen und teile mit ihnen, was sie mögen. Und tue ihnen nichts an, was sie nicht mögen.“ (Bary de, S. 93)

    Für Menzius ist die Einheit zwischen Herrscher und Volk eine wichtige Voraussetzung für die Stabilität der Gesellschaft. Diese Einheit in Ungleichheit ist eine Ordnung, die auf moralischen Verhalten beruht. Folglich kann ein Herrscher, der den an gesetzten moralischen Anspruch nicht gerecht wird, auch abgesetzt werden (Mencius 2):

    „Menzius sprach zu König Xuan von Qi: „Angenommen, einer Eurer Minister vertraut – weil er in einen anderen Staat reist – Frau und Kinder einem Freunde an, und nach seiner Rückkehr stellt er fest, dass sie frieren und hungern mussten – was soll man mit einem solchen Freund machen?“ Der König antwortete: „Mit ihm brechen.“ Menzius daraufhin: „Angenommen, der oberste Richter vermag nicht, die Justizbeamten unter Kontrolle zu halten – was soll mit ihm geschehen?“ Der König antwortete: „ Man muss ihn entfernen.“ Menzius sprach daraufhin: „Angenommen, ein Staat wird nicht ordentlich regiert – was soll da geschehen?“ Der König wandte sich daraufhin dem Gefolge zu und sprach über andere Dinge.“ (Moritz, S. 146)

    Dies ist ein wahrhaft revolutionärer Gedanke, der sogar dazu geführt hat, dass das Buch Menzius unter einigen Kaisern als gefährliches Buch betrachtet wurde.

    Literatur

    Bary de Theodore ed., Sources of Chinese Tradition, Columbia University

    Press, New York 1965

    Bödicker, Martin, Das Tai Chi-Klassiker Lesebuch, Boedicker, 2013

    Bödicker, Freya und Martin, Philosophisches Lesebuch zum Tai Chi Chuan 2, Boedicker, 2006

    Chan Wing-Tsit, A Source Book in Chinese Philosophy, Princeton University Press, Princeton 1969

    Fung Yu-Lan, A History Of Chinese Philosophy, Princeton University Press, Princeton 1952

    Moritz Ralf, Die Philosophie im alten China, Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1990

    Schwarz Ernst, So sprach der Meister, Kösel, München 1994

    Autor: Martin Bödicker

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    Quelle: https://taiji-forum.de/taiji-qigong-philosophie/menzius/